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Hartz-IV-Demo am Samstag in Berlin.

© dpa

Sozialgerichte: Berliner klagen am meisten gegen Hartz IV

In der Bundesrepublik wird nirgendwo so oft gegen Hartz-IV-Bescheide der Jobcenter geklagt wie in Berlin. Jeder fünfte Fall betrifft die vermeintliche Untätigkeit der Jobcenter.

Das Sozialgericht erwartet in diesem Jahr mit rund 32 000 eingegangenen Verfahren einen erneuten Rekord; knapp 27 000 waren es im vergangenen Jahr. Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen. Zwar vermelden auch andere Bundesländer eine Klageflut – aber die dortigen Zahlen reichen bei Weitem nicht an die Berliner Werte heran. Selbst im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, wo die Arbeitslosenquote zwar geringer, die absolute Zahl an Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften mit 813 000 aber mehr als zweieinhalb Mal so groß ist wie in Berlin, werden weniger Klagen und Eilverfahren eingereicht. Die dortigen Sozialgerichte erwarten in diesem Jahr 23 000 Neueingänge. Seltener als hier kritisieren die nordrhein-westfälischen Richter auch die Arbeit beziehungsweise die Untätigkeit der Jobcenter.

Ramona Pop, Fraktionschefin und Arbeitsmarktexpertin der Grünen, sieht in der Überforderung der Jobcenter denn auch einen Hauptgrund für die Berliner Klagewelle. Berlin habe bei der Einführung von Hartz IV vor fünf Jahren einen schlechten Start mit zu wenig Personal gehabt, seitdem habe sich wenig geändert. Zudem seien zu viele Mitarbeiter nur befristet beschäftigt, wodurch es eine hohe Fluktuation gebe. Pop kritisiert, dass noch nicht im Detail geklärt sei, wie die Jobcenter vom kommenden Jahr an arbeiten werden. Man wisse nicht, wie die schon jetzt überlasteten Mitarbeiter dann auch den geplanten Bildungsgutschein für die Kinder ausgeben sollen, sagte Pop: „Ich fürchte, dass wir wieder ein ziemliches Chaos haben werden.“

Für Olaf Möller, Sprecher der Regionaldirektion für Arbeit Berlin-Brandenburg, ist die Berliner Situation nur schwer mit der anderer Länder zu vergleichen. Die Quote jener, die hier Leistungen nach Hartz IV beziehen, liege bei 21,5 Prozent, in Nordrhein-Westfalen beispielsweise betrage sie lediglich zwölf Prozent. Insgesamt erteilen die zwölf Berliner Jobcenter im Jahr rund 800 000 Bescheide.

Nach Angaben des Vizepräsidenten des Sozialgerichts, Hans-Christian Helbig, machen Untätigkeitsklagen gegen die Jobcenter rund 20 Prozent der Fälle aus. Viele Klagen seien zudem darin begründet, dass Berlin auch die „Hauptstadt der Aufstocker“ und die Anrechnung von Einkommen oft strittig sei.

Viele Streitfälle ließen sich laut Hans-Peter Jung, Sprecher des Bundes Deutscher Sozialrichter, bereits außerhalb der Gerichtssäle lösen. Ein Schlichtermodell, wie es die pfälzische Kreisstadt Pirmasens anwende, könnte ein Vorbild für andere Kommunen in Deutschland sein. In Pirmasens (43 000 Einwohner) mit einer der höchsten Arbeitslosenquoten in den alten Bundesländern werden die Betroffenen im Widerspruchsverfahren mündlich gehört und nicht nur mit einem Bescheid abgefertigt. Dadurch konnte die Zahl der Klagen erheblich gesenkt werden.

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