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Michael Müller SPD

© dpa

SPD-Landeschef Müller im Interview: "Reibung erzeugt nun mal Hitze"

Der SPD-Landeschef Michael Müller empfiehlt Rot-Rot als Exportmodell – trotz der Konflikte mit den Linken.

Herr Müller, ist das nicht komisch? In Berlin regiert die SPD seit fast sieben Jahren mit der Linken, aber Ihre Genossen im Bund diskutieren immer noch geräuschvoll über Abgrenzungsbeschlüsse.



Wir machen in Berlin seit Jahren vor, dass man Bündnisse mit der Linken nach inhaltlichen Kriterien beurteilen muss. Das ist viel wichtiger als abstrakte Abgrenzungsbeschlüsse. In Berlin gibt es zwischen beiden Parteien – zum Beispiel in der Bildungs-, Sozial- und Finanzpolitik – viele Übereinstimmungen, die eine Koalition rechtfertigen.

Im Bund …

… kommen andere Themen hinzu, etwa die Außen- und Sicherheitspolitik. Deswegen ist ganz klar, dass Rot-Rot auf Bundesebene nicht geht. Aber auch dort sollte die Auseinandersetzung um Inhalte in den Vordergrund rücken.

Rot-Rot bleibt kein ostdeutsches Thema?

Nein. Die Berliner Koalition wird für die SPD auch in den alten Bundesländern immer interessanter. Das Fünfparteiensystem etabliert sich im Westen Deutschlands und macht dort andere Mehrheiten möglich. CDU und Grüne diskutieren dies ganz selbstverständlich. Da muss auch die SPD die Chance haben, sich neu zu orientieren. Wenn Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün personell und inhaltlich funktioniert, kann man solche Bündnisse nicht ausschließen.

Mit der Bundes-SPD im tiefen, tiefen Tal.

Es ist viel aufgebrochen in der Partei, seitdem die Bundes-SPD nicht mehr den Kanzler stellt. Es gibt viel Unzufriedenheit, und fast alles wird ungerechterweise an Kurt Beck festgemacht. Die SPD schlägt wieder mit den Flügeln, aber das wird von den Wählern nie belohnt. Wir müssen wieder geschlossen auftreten und sagen, wo es langgehen soll: vor allem bei der sozialen Gerechtigkeit, das bewegt die Menschen. Damit kann die SPD punkten, das sollte sie bei der Bundestagswahl in den Vordergrund stellen.

Aber gerade in Berlin drängt Ihr Koalitionspartner, die Linke, in den sozialen Fragen nach vorn, möglichst an der SPD vorbei. Die Konflikte werden härter.

Gemessen an anderen Bündnissen in Bund und Ländern haben wir eine sehr geräuschlos und vertrauensvoll arbeitende Regierung. Wir gehen vernünftig miteinander um. Dass SPD und Linke trotzdem hart konkurrieren, ist normal. Reibung erzeugt nun mal Hitze. Es sind ja keine persönlichen Konflikte, die zum Schaden der Stadt geführt werden. Es geht um gemeinsam vereinbarte Inhalte.

Na ja, die Kritik an Gesundheitssenatorin Lompscher und Bildungssenator Zöllner geht schon ins Persönliche, oder?

Es gibt in der SPD-Fraktion eine zunehmende Unzufriedenheit über die schleppende Umsetzung wichtiger Koalitionsziele: Beim Kinderschutz, beim Masterplan für Vivantes oder der Ausgestaltung von Hartz IV. Es muss erkennbar werden, dass dies politische Schwerpunkte des Senats sind. Es geht aber nicht um ein Misstrauen gegen Senatsmitglieder.

Einen Konflikt haben Sie nicht erwähnt: Den Tarifstreit im öffentlichen Dienst. Die Linke drängt wesentlich stärker als die SPD auf deutliche Gehaltsverbesserungen.

Richtig ist, dass die Linke sehr schnell begonnen hat, sehr viel zu versprechen. Da hat die SPD ein Stoppschild aufgestellt. Einmalzahlungen: Ja. Ein Sockelbetrag: Ja. Aber dies nur für den überschaubaren Zeitraum 2008/09. Berlin muss weiterhin eine seriöse Finanzpolitik betreiben.

Die Gewerkschaften …

… müssen endlich ein vernünftiges Signal setzen. Ihre Verhandlungslinie ist nicht zu erkennen. Wir wissen nicht, wohin Verdi, GEW und GdP wollen, bisher haben sie sich in Forderungen verrannt, die der Senat nicht akzeptieren kann.

Der Konflikt um den Ethikunterricht ist ein anderes großes Thema. Hoffen Sie noch, das Volksbegehren abwenden zu können?

Wir wollen jedenfalls in ernsthafte Gespräche mit den Kirchen eintreten und über mögliche Kooperationen sprechen. Wir wollen keine Eskalation, keinen Kampf gegen die Kirchen. Kompromisse sind aber nur auf der Grundlage unseres Anspruchs möglich, dass der gemeinsame Werteunterricht für alle Kinder ab der 7. Klasse erhalten bleibt. Jede Trennung des Unterrichts nach Religionen und Weltanschauungen lehnen wir ab.

Was bedeutet dann Kooperation?

Auf Basis des Ethikunterrichts kann es eine stärkere Zusammenarbeit mit den Kirchen geben, damit sie ihre Position authentisch darstellen können. Das gibt es schon an den Schulen, aber es sind längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

Rechnen Sie mit einem Entgegenkommen der Kirchen?

Ich hoffe das sehr. Es geht doch um das bestmögliche Unterrichtsangebot für die Schüler, nicht um einen Grundsatzstreit. Die Türen stehen offen, wir führen schon Gespräche und würden das gern noch vor der Sommerpause intensivieren.

Ein weiteres Problem: Das von Vattenfall geplante neue Kohlekraftwerk. Wann positioniert sich endlich die SPD?

Wir sind uns einig, dass die Pläne Vattenfalls in dieser Größenordnung für Berlin nicht tragbar sind. Ein überdimensioniertes Kohlekraftwerk müssen wir verhindern. Andererseits müssen die Energiekosten bezahlbar und die Versorgungssicherheit gewährleistet bleiben. Denn wir sprechen bei Klingenberg auch über die Fernwärme. Alles wird geprüft: Ein Erdgaskraftwerk, eine Kombination von Energieträgern oder kleinere, dezentrale Blockheizkraftwerke. Da müssen sich auch die Kritiker ehrlich machen: Wer keine Atomkraft will, wer Steinkohle aus ökologischen Gründen ablehnt, wem das Gas zu teuer wird, der muss sagen, wie es denn anders laufen könnte.

Hat der Senat überhaupt einen Hebel, um ein neues Kohlekraftwerk zu verhindern?

Wir sollten mehr Selbstbewusstsein zeigen: Vattenfall braucht die deutsche Hauptstadt als Referenz für eine zukunftsweisende Energiepolitik. Für Vattenfall ist Berlin und der ostdeutsche Markt hoch interessant. Wir werden hart verhandeln und ich sehe viel Bewegungsspielraum. Das Unternehmen wird alles versuchen, um eine Eskalation im Streit mit dem Senat zu vermeiden.

Am 21. Juni kandidieren Sie auf dem SPD-Landesparteitag zum dritten Mal für den Vorsitz. Beim ersten Mal, 2004, mussten sie mit sanfter Gewalt ins Amt geschoben werden, jetzt hat man den Eindruck, Sie finden das toll, ihre Partei zu führen.

Sie haben bei der Frage gelacht! Parteiarbeit ist natürlich immer spannend und es stimmt: der Landesvorsitz macht mir zunehmend Freude. Die Berliner SPD ist in einer guten Verfassung, wir nehmen auch auf bundespolitische Themen zunehmend Einfluss. Etwa bei den Debatten um Rot-Rot, der Bahnprivatisierung und der Integrationspolitik. Wir sind ein sehr geschlossener Landesverband mit profilierten Köpfen, die unsere Positionen glaubwürdig vertreten und wirksam auf die Bundesebene transportieren.

Ihre Ziele für das Wahljahr 2009?

Bei der Europawahl wollen wir unser schlechtes Ergebnis von 2005 deutlich verbessern und bei der Bundestagswahl unser gutes Ergebnis vom letzten Mal stabilisieren. Die Berliner SPD wird dabei deutlich machen, dass es mit uns keine soziale Spaltung in der Stadt gibt.

Weiter nach vorn geblickt: Haben Sie nicht Angst vor einem Jamaika-Bündnis, das 2011 die Senatsmehrheit bilden könnte?

Davor habe ich überhaupt keine Angst. Auch wenn deutlich geworden ist, dass einige Personen bei CDU, Liberalen und Grünen ganz gut miteinander können. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich die drei Parteien in grundsätzlichen Fragen näher gekommen sind. Die Differenzen, etwa in der Innen-, Integrations- oder Finanzpolitik, sind gravierend. Jamaika liegt in sehr weiter Ferne.

Obwohl sich der CDU-Fraktionschef Pflüger dafür sehr engagiert.

Herr Pflüger versucht seit gut zwei Jahren, in der eigenen Partei Fuß zu fassen. Man merkt, wie schwer ihm das fällt. Als Oppositionsführer im Abgeordnetenhaus spielt er zwar eine Rolle, aber er hat bisher nicht den Ton und nicht die Themen getroffen, die die Berliner interessieren. Die Nummer 1 in dieser Stadt bleibt unbestritten Klaus Wowereit.

Auch noch bei der nächsten Abgeordnetenhauswahl 2011?

So ist es.

Ehrlich?

Ehrlich.

Das Gespräch führte U. Zawatka-Gerlach.

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