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Berlin: SPD-Parteivorsitz: Mit "produktiver Unruhe" gegen das Chaos in der Partei

Sein zierlicher Schreibtisch ist total überladen, genialisches Durcheinander von Terminmappen, Themenmappen, Zetteln und Zeitungen. Stefan Grönebaum hat sein kleines Büro dort, wo auch der "Vorwärts" sitzt, gleich neben dem Willy-Brandt-Haus.

Sein zierlicher Schreibtisch ist total überladen, genialisches Durcheinander von Terminmappen, Themenmappen, Zetteln und Zeitungen. Stefan Grönebaum hat sein kleines Büro dort, wo auch der "Vorwärts" sitzt, gleich neben dem Willy-Brandt-Haus. Als Chefredakteur der "Demokratischen Gemeinde" der bundesweiten SPD-Zeitschrift für Kommunalpolitik, ist er Herr über drei Mitarbeiter und 30 freie Autoren. In Zukunft will er 20 000 Berliner SPD-Mitglieder einen und führen, die gerade kopflos durch die Gegend flattern wie weiland auf dem Bauernhof geschlachtete Hühner.

"Ich will gewinnen", sagt er leise. Die Augen werden schwarz dabei, der Blick ist nach innen gerichtet. Er spielt mit drei Glaskugeln, als seien sie Symbole für die Kandidatenlage. Doch dann kokettiert er ein bisschen: "Ich bin im Moment in fürsorglicher Belagerung." Will sagen, er ist viel unterwegs, und mit dem Zuspruch von der Basis wächst der Wille. Die Nominierungsrunden in drei Kreisverbänden hat er schon gewonnen, zwei gegen den Parteichef Senator Peter Strieder, eine gegen Strieder und den neuerdings dritten Kandidaten Hermann Borghorst. Am Freitag ist Charlottenburg/Wilmersdorf dran. "Wetten Sie zehn Mark auf mich", sagt er. Das klingt wiederum vorsichtig. Grönebaum weiß, dass die Kreisspitze die Delegierten auf Borghorst einschwören will: "Aber ich bin ja auch nicht untätig".

Gewitzt strickt er an seinem Image als "Unabhängiger", der mit den Links-Rechts-Kungelrunden nichts zu tun hat. Eine Werbeagentur namens "Bridges" hilft ihm für ein paar Tausend-Mark-Scheine; auf die Idee kam noch nie ein Kandidat für den Parteivorsitz. Ist Grönebaum denn so unabhängig? Gewiss, er hat keine Führungserfahrung und keine Hausmacht, aber er ist seit Februar Sprecher des Donnerstagskreises der Linken. Nur will er nicht als Kandidat der Linken gelten: "Kein Vogel kann mit einem Flügel fliegen."

Wie kam Grönebaum, das unbekannte Wesen, auf die Idee? Also: Die ungeliebte Große Koalition war gerade wieder mit Ach und Krach geschmiedet, da sprach er Anfang des Jahres Egon Bahr mit den Worten an: "Du, Egon, ich glaube, so geht das mit uns nicht weiter". Bahrs Reaktion: "Ach nee, und Du willst das ändern!". Man unterhielt sich, Grönebaum fühlte sich von Bahr ermutigt. Seither holt er sich öfter Rat bei bei dem alten SPD-Fahrensmann: "Der Mann ist brillant." Am 8. Juli, eine Woche vor der Vorstandswahl auf dem Landesparteitag will er bei einer Podiumsdiskussion mit Bahr und dem Bildungsreferenten Tilman Fichter vom Bundesparteivorstand für sich werben, kleiner Kontrast zur Love Parade an diesem Tag.

Als der Friedenauer SPD-Abteilungsvorsitzende Grönebaum sich zur Kandidatur entschloss, kannte ihn kaum jemand, und alle lachten. "Die beste Reklame für Strieder", hieß es in der Partei. Das hat sich gründlich geändert. "Ich glaube nicht, dass wir auf dem Parteitag am 15. Juli noch zu dritt kandidieren", meint Grönebaum. Er vermutet, dass Strieder oder der Partei- und Fraktionsvize Borghorst aussteigt.

Aber was hat er den beiden voraus? Strieders Autorität sieht er rapide im Schwinden: "Das ist schon ein Selbstlauf, er hat nicht die Seele der Partei, obwohl er nicht alles blöd gemacht, sondern sich in letzter Zeit mehr um die Partei gekümmert hat". Dass aber "Borghorst den Scherbenhaufen erben will", für den er als jahrelanger Spitzenfunktionär mitverantwortlich sei, "das ist mir wirklich zu wenig." Er findet es auch falsch, dass Borghorst als Parteichef den stellvertretenden Vorsitz der IG Bergbau, Chemie, Energie für Berlin und Ostländer behalten will: "Da muss es doch Interessenkonflikte geben."

Die Basis will starke Führung

Grönebaum ist mit 38 der jüngste der drei Kandidaten. Der studierte Historiker verblüfft zunächst durch seinen rhetorischen Schliff. Tausende von Büchern hat er zu Hause, "aber dafür gilt man heute ja schon als spinnert". Vor allem ist er für die Trennung von Amt und Mandat und für Basisdemokratie. Er hält es mit denen, die meinen, ein Senator sei zu sehr in die Koalition eingebunden, als dass er der Partei ein unverwechselbares Profil geben könnte. Und die Führung müsse der Basis wieder zuhören. All das hören viele Genossen sehr gern. Andererseits ist Grönebaum überzeugt, dass die Basis "eine starke kollegiale Führung will". Die will er verkörpern und Führungsautorität gewinnen. Folglich denkt er sich die "produktive Unruhe", die er predigt, nur "zeitlich befristet". Gelassen sagt er das, mitten im allergrößten Durcheinander der Partei. Es klingt listig. Seine Gegner haben ihm die Stempel "Revoluzzer" und "etwas spinnert" aufgedrückt. Sie empfehlen die Übernahme auch basisdemokratischer Verantwortung für Niederlagen.

Grönebaum aber empfielt sich als der unverbrauchte "Quereinsteiger" für den wahren Neuanfang. Er stammt aus Düsseldorf, studierte in Marburg und Berlin Geschichte, ging aber nach dem Examen an der FU nach Sachsen-Anhalt, als es dort nach Wahlsieg für die SPD roch. So wurde er 1994 persönlicher Referent des Landes-und Fraktionschefs Rüdiger Fikentscher. Erst seit Ende 1997 ist er wieder in Berlin.

Schon richtig, dass sich die hiesige SPD durch jede Wahlniederlage in ihrer Aversion gegen die Große Koalition bestätigt fühlt. Doch Grönebaum will diese Koalition ebenso wenig aufkündigen wie Strieder und Borghorst. "Wir sind drin, rauszuspringen wäre töricht, Verträge sind einzuhalten", sagt er. Was nach der Wahl 2004 kommt? "Wir müssen so überzeugend werden, dass keine andere Partei gegen uns regieren kann." Damit wiegelt er Fragen nach der PDS ab. Herr Grönebaum stellt vor allem selber Fragen und alles in Frage. Die Antworten müsse man gemeinsam erarbeiten. Zum Beispiel ein Zukunftsbild für Berlin. Die Überschrift hat er schon: "Projekt 2020". Er sagt: "Zwanzigzwanzig". Ja wohl, langfristig denkt er für seine "22,4-Prozent-Partei". Eines weiß er: "Ich will Parteivorsitzender, nicht Spitzenkandidat 2004 werden."

Wenn er in den Kreisverbänden auftritt, redet er gern über Probleme "vor Ort". Diese Zuwendung haben die Genossen auch sehr gern. Wie verträgt sich das mit dem Vorsitz für alle? Mit Unschuldsmiene stellt er eine Gegenfrage: "Würden Sie ein Ostprogramm in Wannsee vorstellen?" Er will eben auf seine Art die Partei einen. Aber ob er als Stellvertreter antritt, wenn es für den Vorsitz nicht reicht, lässt er offen. Dann also lieber innerparteiliche Opposition, wie gehabt?

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