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Berlin: SPD will sozialdemokratisch werden

Nach dem Europawahl-Schock: Parteitag wählt neuen Vorstand und stellt den Regierungskurs in Frage

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Berliner SPD wird auf ihrem Landesparteitag heute nicht nur die Parteiführung neu wählen, sondern in der Bildungs- und Sozialpolitik den politischen Kurs korrigieren. Das Ergebnis der Europawahlen hat die Sozialdemokraten schockiert. „Wir müssen uns in der zweiten Hälfte der Wahlperiode auf sozialdemokratische Werte besinnen“, sagt der Landeschef der Jungsozialisten, Fabian Schmitz. Damit spricht er aus, was die SPD-Mehrheit denkt und was sich in Anträgen für den Parteitag wiederfindet.

Klare Beschlüsse sind zu erwarten. Studiengebühren und Eliteuniversitäten werden abgelehnt. Die Bildungspolitik soll zuerst der „Förderung breiter Schichten“ dienen. Um sozial schwachen Familien den Zugang zu Kindertagesstätten zu erleichtern, sollen „Modelle zur Senkung oder Abschaffung der Gebühren“ geprüft werden. Der Freizeitausgleich für Kita-Erzieherinnen soll im Sinne der Beschäftigten geregelt werden. Das BVG-Sozialticket wollen die Sozialdemokraten wieder einführen. Der SPD-Parteitag wird sich auch „grundsätzlich gegen den Verkauf öffentlicher Betriebe der Daseinsfürsorge“ wenden. Das gilt besonders für BVG und Wasserbetriebe.

Eine große Parteikonferenz soll sich spätestens Mitte 2005 Gedanken über ein besseres Quartiersmanagement machen. Die Kürzungen bei den Langzeitarbeitslosen und im Gesundheitsbereich sollen ebenso „sozial abgefedert“ werden wie die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Hartz IV). Entsprechende Änderungen der rot-grünen Bundespolitik fordert der SPD-Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg. Dieser Antrag könnte heute die Debatte bestimmen. Auch in Berlin befinde sich die SPD „in einer anhaltenden Vertrauenskrise“, mahnen die Genossen aus Friedrichshain-Kreuzberg in einer Resolution. Die Partei verliere ihre Stammklientel, ohne neue Wählerschichten zu erschließen. „Der Charakter der SPD als Volkspartei steht in Frage.“ Ohne eine glaubwürdige soziale Profilierung werde die Partei wenig Zukunft haben.

Das sind Thesen, die weit über die SPD-Linke hinaus auf fruchtbaren Boden fallen. Das „Cafe Sociale“, eine Gruppe junger Kommunal- und Sozialpolitiker im Berliner Landesverband, hat den künftigen SPD-Landesvorsitzenden Michael Müller aufgefordert, die Bemühungen um eine „soziale Stadt“ zu unterstützen. Die Haushaltskonsolidierung soll nicht aufgegeben werden, aber die SPD-Basis möchte das „Primat der Finanzpolitik“ durchbrechen, um in der Stadt mehrheits- und regierungsfähig zu bleiben. Müller, der heute im Palais am Funkturm – als Nachfolger von Peter Strieder – zum neuen SPD-Landeschef gewählt wird, verfolgt die neue Debatte im Landesverband mit stiller Sympathie.

Müllers Personalvorschlag für den neuen SPD-Vorstand wird vom Parteitag aller Voraussicht nach akzeptiert. Auch Ex-Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing kann als Vize-Landeschefin mit einer Mehrheit rechnen. Bei der Wahl Müllers und der vier Stellvertreter wird es keine Kampfkandidaturen geben.

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