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Der Berliner Dom im Herzen der Stadt.

© Christophe Gateau/dpa

Finanznot trotz Erfolg mit Online-Angebot: Spendenaktion soll Berliner Dom vor Pleite retten

Mit seinen Online-Gottesdiensten feiert der Berliner Dom unerwartete Erfolge. Und gerät nun trotzdem in finanzielle Schwierigkeiten.

Es gebe ja immer beides, sagt Dompredigerin Petra Zimmermann, Licht und Dunkel. „Gut so“, ruft Martin Hildebrandt. Gut und böse hingen immer zusammen, fährt Zimmermann fort und schaut nun ernster von ihrer goldenen Kanzel. „Schärfer!“, ruft Hildebrandt. „Wenn wir lächeln, obwohl uns zu weinen zumute ist“, gerät Zimmermann in Fahrt, „wenn wir anpacken, obwohl die Kraft längst nicht mehr reicht. Wenn wir so tun als ob!“ „Jaa!!“, ruft Hildebrandt. Jetzt stimmt das Bild.

Er kann es sehen. Auf einem der vier Monitore vor ihm: Die ernsten braunen Augen der Dompredigerin, ihr lila Talar, die abwiegenden Hände, eine für das Gute, die andere für das Böse – es ist alles scharf. Martin Hildebrandt koordiniert die Live-Übertragung der Gottesdienste.

Über ein Headset gibt er Kommandos an sein Team, dass Zimmermann mit drei Kameras filmt. Während die Dompredigerin von der Kanzel herunter predigt, zu ein paar Gläubigen, mit Abstand und Maske in den Sitzbänken angeordnet wie graue Stecknadeln, überwacht Hildebrandt die Bilder, die übers Dom-W-Lan in die Welt geschickt werden.

Das geht inzwischen ziemlich professionell, sagt er, „wie bei einer ZDF-Übertragung.“ „Unglaublich“ sei das, was Hildebrandt da mit seinem Team auf die Beine gestellt hat, sagt Dompredigerin Zimmermann.

Ein Handy auf einem zehn Euro Stativ hatte das „Streamteam“, wie Hildebrandt und seine Freiwilligen hier nur genannt werden, als es letztes Jahr, im ersten Lockdown, seine Arbeit begann. Inzwischen überträgt man die Gottesdienste über mehrere Live-Kameras zu Tausenden von Zuschauern.

„Nach dieser Art Gottesdienst bin ich aber auch ziemlich erledigt“, sagt Zimmermann. Der Austausch mit der Gemeinde fehlt ihr. Und man sieht ihr die Erschöpfung an. Die Erschöpfung einer Geistlichen, die seit einem Jahr gegen nichts Geringeres kämpft als die Pleite ihrer Kirche.

Mehr als 75 Prozent der Einnahmen weggebrochen

Dompredigerin Zimmermann macht sich Sorgen. Mehr als 75 Prozent der Einnahmen seien durch die Coronakrise weggebrochen. Denn der Dom finanziert sich hauptsächlich über Konzerte und Ausstellungen – und über das Eintrittsgeld, das jeder Tourist normalerweise in die Domkassen wirft. Normalerweise. Doch nicht in der Coronakrise. Inzwischen gibt es eine Spendenkampagne.

„Wie ein verlassener Ort“ kommt ihr der Dom nun oft vor, sagt Zimmermann. Tatsächlich ist er eine schlafende Sehenswürdigkeit neben vielen in Berlin-Mitte. Wie in einem stillgelegten Freizeitpark liegen die historischen Attraktionen hier nebeneinander, unbesucht und ungesehen.

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Menschenleer sind die Straßen vor dem Gottesdienst an diesem Tag. Nur ein einsamer Jogger im Neon-lachsfarbenen Trikot läuft vorbei, über die Brücke auf die Museumsinsel, zum Pergamonmuseum, das still da liegt, als wäre es tatsächlich ein alter Tempel und eben gerade ausgebuddelt worden, hin zum Dom mit seiner Riesenkuppel, auf der das goldene Kuppelkreuz unbeirrt in der Sonne blitzt. Noch jedenfalls.

Sechs Millionen Euro kostet es ungefähr, den Dom ein Jahr zu betreiben. 96 Prozent davon muss die Gemeinde selbst erwirtschaften. Dabei gerät sie nun an ihre Grenzen. „Wenn sich bis Anfang nächsten Jahres nicht grundlegend etwas ändert, weiß ich nicht“, Zimmermann stockt und schaut ihren nachhallenden Worten hinterher, die die Akustik hoch in die Kuppel trägt, „weiß ich nicht, was mit dem Dom passiert.“

Etliche Stellen haben sie im Dom schon abgebaut. Die meisten der restlichen ungefähr 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, ihre Büros bleiben leer. Unter der Woche sitzt Zimmermann nun alleine im Dom und überlegt, wie es weitergeht.

An diesem Ort, dessen Thema Ewigkeit ist, der sich von 1905 an „durch die Wirren der Geschichte“ in Berlin behauptete, wie Zimmermann erzählt. Ob in der Kaiserzeit, in den Trümmern nach dem zweiten Weltkrieg oder in der DDR: Auf Postkarten und Fotos sieht man ihn im Hintergrund, als steingewordene Beständigkeit, als Einheit von Macht und Glauben. Als solche war er natürlich auch ein gesegneter Fleck auf der reinen, sozialistischen Stadtidee der DDR-Machthaber.

[Mehr Infos unter: berlinerdom.de/spende. Hier können Sie spenden: Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin KD-Bank eG – Bank für Kirche und Diakonie, IBAN: DE30 3506 0190 0000 0080 01, Spendenzweck: „Für die spirituellen und kulturellen Angebote des Berliner Domes“]

Sie wollten den Dom eigentlich abreißen. „Die wussten aber nicht, was mit der Statik der Museumsinsel passieren würde, wenn diese vielen Tonnen Dom plötzlich verschwinden“, erzählt Zimmermann. Also blieb der Dom, gerettet durch seine schiere Masse, und wird bleiben. Ob in ihm dann aber noch Gottesdienste gefeiert werden, ist offen.

„Des Herrn Wort bleibet ewiglich“, steht in goldener Schrift auf der Kanzel hinter Zimmermann. „Endlich“ hingegen seien die finanziellen Rücklagen, sagt die Dompredigerin. Deshalb engagieren sich immer mehr Gemeindemitglieder ehrenamtlich, um den Dom zu retten.

Und auch das „Streamteam“ arbeitet ehrenamtlich. „Uns ist klar, dass wir hier nicht McGyver übertragen“, sagt Leiter Hildebrandt nach dem Gottesdienst. Trotzdem haben sie hier gute Einschaltquoten. Auch im Dom durften heute schon ein paar Gläubige sein. Einer von ihnen zündet nach dem Gottesdienst noch eine Kerze an. Es sind nur drei, vier kleine Lichter, die da brennen neben dem Altar. Aber sie brennen.

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