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© dpa

Spontanpartys: Jetzt ist Feierabend

Junge Leute treffen sich zur Party immer öfter auf Berliner Plätzen, Brücken und in den Parks. Das bringt Konflikte mit den Anwohnern.

Berliner Pilsner, Kindl, Budweiser, Sternburg – es ist alles vertreten, wenn es Abend wird auf der Admiralbrücke. Das kurze, kopfsteingepflasterte Bauwerk zwischen dem Fraenkel- und dem Planufer in Kreuzberg gehört seit ein paar Jahren zu den angesagtesten Orten für zwei, drei, viele Feierabendbiere. So ist die kleine Brücke mit der schönen Aussicht zum typischen Großstadtproblem geworden. Anwohnerinteressen kollidieren mit den Interessen der Admiralbrückennutzer. Es geht um Lärm, Müll, Hauseingänge, die als Toiletten genutzt werden. Es geht um öffentlichen Raum in der Großstadt und um Regeln. Liberale Leute fühlen sich an die Grenzen ihrer Liberalität getrieben. Junge Leute sagen: „Der Stadtraum gehört uns – und das ist eine politische Aussage.“

Die Admiralbrücke ist per Internet längst auch zum Touristenort geworden. Deshalb ist sie bei Leuten aus der Umgebung nicht weniger beliebt. Da sitzt der Jungmann mit dem eleganten Hut zum hellen Anzug und plaudert mit einem Kumpel. Zwei Jungs besprechen die Vorteile von Eiweißpulver zum Muskelaufbau. Ein Mädchenvierer nippt am Weißwein: Es wird Frühling in der Stadt, auch wenn der Himmel über Berlin nur hellgrau daherkommt. Alle wollen draußen sein. Die Zeit vergeht mit der Fließgeschwindigkeit des Wassers im Landwehrkanal unter der Brücke. Fließt es überhaupt? Es fließt.

Konflikte wie den um die Admiralbrücke gibt es an mehreren Orten in Berlin, es gibt sie in Köln, Zürich, London, Barcelona. In Berlin gehören die Badewiesen am Schlachtensee und die beiden Wiesen auf der Kladower Seite des Groß Glienicker Sees zu den Dauerstreitpunkten. Großgruppen feiern hier zum Grauen der Anwohner bis tief in die Nacht. Eine Truppe von Spandauer Sozialarbeitern, Polizisten und Mitarbeitern des Ordnungsamtes besucht die feiernden Jugendlichen ab und zu, erinnert ans Aufräumen und bringt notfalls auch mal jemanden nach Hause, der Hilfe nötig hat – vorbeugende Sozialarbeit mit polizeilicher Beteiligung. Am Alexanderplatz, wo sie Freitagsabends mal Hunderte zum Hineinfeiern ins Wochenende getroffen haben, entwickelten Geschäftsleute und Feier- Freunde eine Lösung für das Müllproblem – die „Alexianer“. Ein paar junge Männer, die den Raum unter dem Fernsehturm als Aufenthaltsort schätzten, beseitigten Flaschen, Scherben, Müll am Sonnabend nach der Party. Auch am Mauerpark sind regelmäßig Einsätze dieser Art nötig. Am Freitagabend schritt die Polizei ein, nachdem eine Party von „etwa 800 vernehmlich jugendlichen Personen“ ausuferte. Beamte sammelten „Polenböller“ ein, traten Lagerfeuer aus und kümmerten sich um die besonders schwer Alkoholisierten.

Draußen zu feiern, sei immer „ein Privileg der Jugend“ gewesen, sagt der Soziologe Titus Simon. Neu und zeitgemäß an der Party im öffentlichen Raum sei, dass junge Leute die „Massensituation“ wollten: Man ist gern mit vielen an einem Ort. Der  Jugendforscher Philipp Ikrath hat Ähnliches beobachtet: Viele junge Leute wollten weg aus Gegenden, die bestimmten „Szenen“ zugerechnet werden. Die Party unter freiem Himmel sei die Abkehr von den kommerzialisierten Partys und Clubritualen. Das habe für Heranwachsende aus gebildeten Schichten sogar eine politische Dimension: „Reclaim the street“, sei die Devise – mach dir die Straße zu eigen. In Zürich haben die Partys Dimensionen angenommen, die eine neue Einsatztruppe hervorbrachten: „Sip Züri“ nennt sich eine Verbindung von Sozialarbeitern und Ordnungsbehörde, die Abkürzung steht für Sicherheit, Intervention, Prävention. „Sip Züri“ funktioniert nach dem Prinzip: Erst reden und dabei Hilfe anbieten, ein bisschen aufräumen, intervenieren, wenn Leute auf Ärger aus sind, die Polizei alarmieren, wenn der Ärger weitergeht. Das ist zeitgemäßes Konfliktmanagement.

Eine Art Schlichtung zum Vorteil aller soll nun an der Kreuzberger Brücke versucht werden: Konfliktschlichter sollen auf Leute einwirken, die zu laut oder zu betrunken sind. Das Ordnungsamt ist dabei, hält sich aber möglichst im Hintergrund. Polizisten übernehmen die Funktion von Sozialarbeitern. Laut Franz Schulz, dem grünen Bürgermeister von Kreuzberg-Friedrichshain, soll das Verfahren den Sommer über getestet und dann ausgewertet werden. Achtzehn- bis zwanzigtausend Euro gibt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer dafür aus.

Das Streitschlichtungsmodell kommt aus Köln. Dort heißt der Problemort Brüsseler Platz: mitten in der Stadt, von Altbauten umrandet, begrünt von einer Anwohnerinitiative, zentriert von der schönen Kirche St. Michael, deren Türme nachts angestrahlt werden. Und ausgestattet mit einem Kiosk, bei dem es frisches Kölsch bis drei Uhr nachts gibt. „Mediterranes Chillen“ – so nannte der Kölner Konfliktschlichter Detlev Wiener das Lebensgefühl, das die Leute auf den Platz zieht. Und wie in der Gegend um die Kreuzberger Admiralbrücke wohnen auch am Brüsseler Platz offenbar viele Leute, die den mediterran Chillenden grundsätzliche Sympathie entgegenbringen. Keiner ruft hier laut nach strengen Regeln, Alkoholverbot, Polizeieinsätzen. Man sei doch liberal, sagt Anwohnerin Gabriele Kiefer, berufstätig und Mutter einer Tochter: „Wir schaffen es nicht, die Polizei zu rufen.“

Die „Moderation“ des Interessenkonfliktes ist so was wie die letzte Hoffnung der liberalen Großstadtbürger. Anwohnerin Kiefer – eine von denen, die den Platz begrünt haben und pflegen – kann mit Sinn für Ironie alle Seiten des Problems beschreiben: dass sich die Grünen (sie selbst sei auch eine!) 2009 auf diese Art der Konfliktschlichtung eingelassen hätten, weil in Köln Wahlkampf war; dass zum nächtlichen exzessiven Feiern Kampftrinker kämen, „von denen man nicht weiß, wie alt sie sind“ – „wo fängt die soziale Verantwortung an?“, fragt Gabriele Kiefer. Und erzählt noch, dass die Anwohnerinitiative nach der Feiersaison 35 Säcke Müll vom Platz geschafft habe – das alles lässt ahnen, wie viel Anwohnertoleranz die Chiller brauchen.

Das mit dem mediterranen Lebensgefühl hat offenbar auch dem Leiter des Kölner Ordnungsamtes gut gefallen. Robert Kilp will die Gemeinschaft der Feiernden mit Methoden zu umwelfreundlichem Verhalten bringen, die Moderator Wiener in seiner 50 Seiten langen Analyse vorschlägt: Vermittler auf dem Platz sollen auf Leute zugehen, die sich danebenbenehmen. Mitarbeiter des Ordnungsamts sollen Präsenz zeigen und bei Bedarf freundlich an ein paar Vorschriften erinnern. Aufenthaltsverbote aber sieht Kilp nur als letztes Mittel. „Wenn Sie mich fragen, funktioniert das im Leben nicht“, sagt Gabriele Kiefer.

So gesehen, läuft an der Admiralbrücke der erste Berliner Großversuch, den Konflikt neu zu regeln. Noch passiert das eher konventionell. „Bis zwei Uhr nachts“ hätten vor kurzem zehn junge Leute ihre Frühlingsgefühle vor ihrem Fenster ausgelebt, sagt eine Frau am Fraenkelufer. Da habe sie dann doch „die 110“ angerufen. Ihr ist anzumerken, dass diese Art der Problemlösung ihr nicht behagt. Klare Verhaltensregeln, durchgesetzt von den Ordnungshütern – so war das mal, so ist es nicht mehr. Konflikte wie der um die Adamiralbrücke verlangen heute nach Moderation und Mediatoren: Aufpasser für die Partygesellschaft, Super-Nannys auf der Admiralbrücke.

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