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Berlin: Spuren im Niemandsland

Weiße Fahrbahn-Markierungen, Beton und Asphalt: Auch heute noch lassen sich an den früheren Übergangsstellen DDR-Reste entdecken

Tatsächlich, hier steht die Mauer noch. Sie flankiert die Bornholmer Straße, und es sieht fast so aus, als sei die Zeit stehen geblieben, damals vor 13 Jahren. Aber die Mauer ist nur Stückwerk und außerdem bunt beschmiert. Wo in strenger Reihe Abfertigungshäuschen standen, vor denen sich Autos aus West-Berlin stauten, stehen heute die Verkaufshäuschen zweier Autohändler und ihre gut 300 Autos. Halt: Sind da nicht noch die alten Fahrbahnmarkierungen auf dem alten, hügeligen Asphalt zu sehen? Weiße Strichellinien, die alte Spuren andeuten, weil man hier, zu Fuß oder im Auto, immer zu spuren hatte. Was erinnert hier und an anderen früheren Übergängen überhaupt noch an die alte Grenze?

„Güst“ nannten sie die Grenztruppen der DDR. West-Berliner kannten die Grenzübergangsstellen naturgemäß besser als die östlichen Brüder und Schwestern. Die Bornholmer Straße, oft auch Bornholmer Brücke ge- nannt, war einer der berühmten Orte, die am 9. November vor 13 Jahren, preußisch-diszipliniert gestürmt wurden, als Zehntausende gen Wedding drängten. West-Berliner erinnern sich, wie kalt sie hier abgefertigt wurden: Von Wedding kommend ging es über die Bornholmer Brücke, die heute wegen des starken Autoverkehrs ständig bebt. Damals bebte sie nicht. Der S-Bahnhof auf ihrer Mitte war, weil Grenzgebiet, stillgelegt.

Gleich hinter der Brücke gingen Fußgänger geradewegs in die Abfertigungshäuschen, Autofahrer mussten rechts abbiegen, in ein weites Abfertigungs-Areal. Die „Staatsorgane“ dirigierten in Spuren, wo Insassen und Fahrzeuge eingehend inspiziert wurden. Das konnte eine Stunde dauern, und die „Einreisenden“ hatten Zeit, sich die Gegend anzusehen. Da fiel vor allem eine lange Reihe alter Häuser auf, die hinterm Übergang standen, wie im Souterrain. Das lag daran, weil der Ost-Berliner Übergang auf dem recht hohen Brückenniveau gebaut war und die Umgebung auf dem Niveau der benachbarten Bahngleise flacher schien als wie war.

Die Verkaufshäuschen der Autohändler können eine gewisse Ähnlichkeit mit den alten Grenzbuden nicht verhehlen. Blausilberne Girlanden schmücken bei Neumann-Automobile den Platz, bei Auto Riese ist fast eine kleine rötlich gefärbte Budenstadt entstanden. Nur der Boden des Platzes, auf dem Porsche, BMW und anderes hinter Zäunen auf Käufer warten, ist überall gleich. Es ist das Fundament, das die DDR bauen ließ und das beständig den Zeiten trotzt.

Auch die Häuserfront nebenan trotzt den Zeiten. Wer oben die Grenze passierte, konnte nicht so ohne weiteres in die Nähe dieser Häuser, weil sie hinter Zäunen standen. Aber noch immer liegt die Finnländische Straße in einer Art Niemandsland für Spaziergänger. Die Gebäude, fast ausnahmslos in grauem Putz verblieben, sind von abweisender Kälte, im Erdgeschoss auch tagsüber fast überall die Jalousien heruntergelassen, der Bürgersteig sieht wie ein verwilderter Feldweg aus. An der Ecke Norwegerstraße, wo es zum Bahngelände Richtung Westen geht, sieht es aus, als stünde noch die Mauer. Tatsächlich versperrt hier noch eine alte Mauer die Sicht, aber sie trennt wirklich nur noch von den Gleisen. Wedding gegenüber wirkt so entfernt, als wäre die Stadt schon wieder geteilt.

An der Invaldienstraße in Mitte wirkt die Stadt zusammengewachsener, auf den ersten Blick. Auf der tristen Freifläche zwischen den Bundesministerien für Wirtschaft und Bau/Verkehr steht das Denkmal einer Mauer, die in der Erde versinkt. Auf der Straße aber erinnert fast nichts an die alte Übergangsstelle. Straße und Gehweg bilden stellenweise eine asphaltene Einheit, eine Steinwüste. Hier waren die Abfertigungshäuser, sie standen auch dort, wo die Mauer versinkt, und sie flankierten das dreistöckige verlassene Haus mit der Nummer 86. Es sieht so aus, als könnten hier noch „Grenzorgane“ herauskommen.

Auch die Heinrich-Heine-Straße war Brennpunkt der Maueröffnung. Die Plattenbauten direkt vorm Übergang haben frischen Putz erhalten, sie waren berühmt, auf jedem Foto zu sehen. Auf dem Gelände des einstigen Übergangs verkaufen Händler Lkw und Autos – unter blausilbernen Girlanden.

Die Gehwege zeigen noch Spuren des alten Grenzübergangs. Betonplatten schieben sich über Asphalt wie eine Stufe, dazwischen wächst Unkraut. Eine Schautafel erinnert an die Maueröffnung, und an die Mauer eine Doppelreihe von Kopfsteinen, die sich über die Straße zieht und die keiner bemerkt.

Christian van Lessen

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