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Berlin: Stadt ohne Stimme

Das geteilte Berlin durfte nicht für Bundestag oder Volkskammer mitwählen. Das hatten die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs verfügt. Ein Rückblick.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Es gab Zeiten, da hatten die Berliner keine Wahl. Im Westen der Stadt wurden die Bundestagsabgeordneten nicht vom Volk gewählt, sondern vom Stadtparlament im Rathaus Schöneberg in die Bundeshauptstadt Bonn geschickt. Auch im Osten der Stadt durften die Vertreter des Volkes fast drei Jahrzehnte nicht direkt in die DDR-Volkskammer gewählt werden. Mal abgesehen davon, dass es dort keine demokratischen Wahlen gab. Dieser merkwürdige Zustand, der dem besonderen Status Berlins entsprach, wurde erst nach dem Mauerfall beendet.

Schon im Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz hatten die westlichen Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich im Mai 1949 rechtliche Vorbehalte geltend gemacht: Berlin (West) sei nicht Bestandteil der Bundesrepublik. Deshalb durfte die Bevölkerung der geteilten Stadt nicht an Bundestagswahlen teilnehmen. Erstmals wurden am 14. August 1949 acht Parlamentarier aus dem Westteil per Beschluss des Abgeordnetenhauses in den Bundestag entsandt. Drei Jahre später elf weitere, darunter Willy Brandt.

Es ist fast vergessen, aber die Alliierten – Westmächte plus Sowjetunion – übten seit der Kapitulation Deutschlands die oberste Gewalt in Berlin aus, 1954 wurde dies im Deutschlandvertrag endgültig verbrieft. In Berlin galt eine spezielle Variante des Besatzungsrechts. Dieser Viermächte-Status der Stadt wurde 1971 vertraglich festgelegt. Demnach durfte Berlin nicht vom Bund regiert werden. Dazu gehörte, dass die Berliner im Bundestag vom Abgeordnetenhaus delegiert wurden. Bei der Wahl der Bundesregierung und der Schlussabstimmung über Gesetze hatten diese Volksvertreter kein Stimmrecht, nur in den Ausschüssen waren sie vollwertige Parlamentarier.

Ähnliches galt lange Zeit für die Volkskammer, die im Osten Berlins, der „Hauptstadt der DDR“, angesiedelt war. Die Abgeordneten der östlichen Stadthälfte hatten ebenfalls kein Stimmrecht, und sie wurden von der Stadtverordnetenversammlung entsandt. Wenn es um den besonderen Status Berlins ging, kam die politische Führung in Moskau auch den Genossen in der DDR nur bedingt entgegen. Allerdings gab es 1969 im Westen ein großes Rätselraten, weil die Ost-Berliner Abgeordneten bei der Ratifizierung des Atomsperrvertrags und anderen Gesetzen plötzlich doch mitstimmten.

Ob diese Stimmen formell mitgezählt wurden, blieb unklar. Zumal die Abstimmungen im DDR-Parlament akklamatorische Handlungen waren und mit einer demokratischen Mehrheitsbildung nichts zu tun hatten. Erst 1976 gab es Gewissheit, als durch eine Änderung des DDR-Wahlrechts die Abgeordneten im Ostteil der Stadt wählbar gemacht wurden, erstmals zur Wahl 1981. Trotzdem blieben die westlichen Alliierten hart: An den eingeschränkten Rechten der Abgeordneten West-Berlins änderte sich nichts. Obwohl ein Berater Willy Brandts damals intern eine dicke Lippe riskierte: „Die Amerikaner werden ja wohl nicht gleich in Bonn einmarschieren, wenn die Berliner volles Stimmrecht bekommen.“

Erst am 8. Juni 1990, als die Vereinigung Deutschlands in Sichtweite geriet, schrieben die drei West-Alliierten an den Bundeskanzler – ab sofort durften die Berliner Abgeordneten direkt gewählt werden, und sie erhielten das volle Stimmrecht. Zuerst profitierten davon unter anderem die früheren Regierenden Bürgermeister Dietrich Stobbe und Hans-Jochen Vogel (beide SPD), Ex-Innensenator Heinrich Lummer (CDU) und der kürzlich verstorbene FDP-Politiker Wolfgang Lüder. Ulrich Zawatka-Gerlach

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