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Spaziergänger im Garten der Liebermann-Villa in Berlin-Wannsee.

© Stephanie Pilick/dpa

Stadtführer „Berlin Kiez für Kiez“ : 80 Touren durch die Hauptstadt – nicht nur für Touristen und Zugezogene

Durch mondäne Villenviertel und Orte des Schreckens, in ein Labyrinth und über den „Selbstmörderfriedhof“: Ein neues Berlin-Buch lädt zum Flanieren und Entdecken ein.

Die Idylle und das Entsetzen liegen in Berlin mitunter nur wenige 100 Meter voneinander entfernt. Zum Beispiel in der Villenkolonie Alsen, am südwestlichen Ufer des Großen Wannsees: Paradiesisch die Lage der Sommervilla von Max Liebermann mit ihrem prächtigen Garten, nicht weniger stimmungsvoll gelegen das Haus der Wannsee-Konferenz, nur überlagert diesmal das Wissen um die dort erfolgte Organisation des Holocaust den Eindruck einer friedlichen Parklandschaft.

Noch etwas weiter die Straße am Großen Wannsee entlang erwartet die Ausflügler schließlich eine majestätisch über den See blickende Raubkatze, der von Heckeshorn aus wachende Flensburger Löwe, oder jedenfalls die Zinkkopie des Originals, das je nach militärisch-politischer Lage von Flensburg nach Berlin, von dort nach Kopenhagen und zurück nach Flensburg reiste.

Mag für die monumentale Kopie ein überaus lieblicher Ort gefunden worden sein – es bleibt doch ein Kriegerdenkmal, das an die Schlacht bei Idstedt 1850, den blutigen Sieg der Dänen über die aufständischen Schleswig-Holsteiner, erinnert, Idylle und Entsetzen gleichermaßen in sich vereinend.

Der Spaziergang am Wannsee, fünf Kilometer lang, ist einer von 80 Touren, die der neue, im via Reiseverlag erschienene Stadtführer „Berlin Kiez für Kiez“ dem entdeckungsfreudigen Berlin-Neuling anbietet, in dem aber auch Alteingesessene viel Unbekanntes oder zumindest nie Besuchtes finden können.

Selbstverständlich sind die touristischen, auch von Einheimischen gerne frequentierten Trampelpfade in dem handlichen Band als Pflichtprogramm versammelt, aber wer war wirklich schon mal auf dem Friedhof Grunewald-Forst? Der wurde früher gerne auch Selbstmörderfriedhof genannt, auf dem längst nicht mehr nur die wegen der Strömungsverhältnisse oft bei Schildhorn gestrandeten, von christlichen Gottesangern verbannten Wasserleichen ihre letzte Ruhe fanden, sondern etwa auch die an den Folgen eines Fahrradunfalls auf Ibiza zu Tode gekommene Velvet-Underground-Sängerin Nico.

Und wer hat tatsächlich schon mal seinen Blick vom „Berliner Balkon“ in die Runde schweifen lassen oder weiß zumindest diesen Aussichtspunkt südlich der Straße Alt-Mahlsdorf präzise zu lokalisieren.

Der von einem Team erstellte und von Julia Brodauf herausgegebene Stadtführer legt die historischen Bezirke der 1920 gebildeten Metropole Groß-Berlin zugrunde, ergänzt um die drei späteren sozialistischen Zugänge Hellersdorf, Marzahn und Hohenschönhausen. Schließlich leben, wie es in der Einleitung heißt, die Alt-Bezirke „in den Köpfen und Herzen der Berliner und ihrer Besucher“ fort. Auch könne man so „die Stadtteile in einem möglichst authentischen und gleichzeitig überschaubaren Zusammenhang“ präsentieren.

Dies geschieht je Alt-Bezirk in mehreren, stets dank Karten und vielen Fotos ohne Orientierungsschwierigkeiten per pedes oder mit dem Rad absolvierbaren Rundgängen, ergänzt durch Tipps und Adressen. Sechs Streifzüge sind es in Mitte und Tempelhof, da gibt es eben besonders viel zu sehen.

Nur jeweils ein Rundgang muss dagegen für Hohenschönhausen und Marzahn genügen, aber man denke nur nicht, dass sich ein Ausflug dorthin nicht lohne. Schon mal von der Flußpferd- und der Papageiensiedlung in Alt-Hohenschönhausen gehört? Und wann zuletzt in einem Labyrinth verirrt? Falls dies nicht mehr erinnerbar ist: Nichts wie hin nach Alt-Marzahn, zu den „Gärten der Welt“.

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