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Klingeln, bis die Kunst kommt: 48 Stunden Neukölln feiert Rixdorf

"Erinnern, Vergessen, Behalten, Verlieren" ist das Motto der zwölften "48 Stunden". Passend zum 650. Geburtstag von Rixdorf, das im 18. Jahrhundert Zuflucht und Heimat für Glaubensflüchtlinge aus Böhmen wurde.

Eine Migrantin, ist ja klar. Eleonore Prochaska ist typisch Neukölln: die Familie stammt aus Böhmen, sie studiert, ist 28 und nach ihrem Wehrdienst in Afghanistan frisch hergezogen. Wehrdienst in Afghanistan? Das klingt nun weniger typisch. Und auf den zweiten Blick ist es die ganze Eleonore nicht. Sie ziert ein Riesenwerbeplakat in der Richardstraße, hat einen Briefkasten in der Kirchgasse 60 und ab Freitag ihren eigenen Blog auf der Seite EleonoreProchaska.de, aber persönlich ist die Rixdorferin schwer anzutreffen.

Das könnte was damit zu tun haben, dass Eleonore Prochaska im März 1785 geboren wurde. Also mehr als 225 Jahre vor dem diesjährigen Kunst- und Kulturfestival „48 Stunden Neukölln“, das Freitagabend mit dem Projekt „Eleonore ist da – bitte bei Prochaska klingeln“ die Wiedergeburt der tollkühnen Schönen feiert. Eine von 700 Festivalveranstaltungen, die Neukölln bis Sonntagabend an rund 340 Orten wieder einen Hauch von Hotspot, Kulturschmelztiegel und Trendbezirk verleihen, der er ja tatsächlich ist. Zumindest in den grünen Kuschelecken zwischen Landwehrkanal und S-Bahnring, wozu die Gassen von Böhmisch-Rixdorf rund um den Richardplatz gehören.

„Erinnern, Vergessen, Behalten, Verlieren“ ist das Motto der zwölften „48 Stunden“. Passend zum 650. Geburtstag von Rixdorf, das im 18. Jahrhundert Zuflucht und Heimat für Glaubensflüchtlinge aus Böhmen wurde. In einer böhmischen Migrantenscheune ist in den nächsten drei Monaten denn auch die aus so einer Einwandererfamilie stammende Eleonore Prochaska zu Gast. Mit einer Soundinstallation, aus der auf Knopfdruck Texte und Musik ertönen und der darauf aufbauenden Netzseite, Fotoaktion, Lesung, Theater. Die „preußische Jeanne d’Arc“ kämpfte nie in Afghanistan, aber dafür in den Befreiungskriegen gegen Napoleon. Und weil das für eine Jungfer von 28 Jahren ein Ding der Unmöglichkeit war, schloss sich die Heldenjungfrau dem Lützowschen Freikorps in Männerkleidern an.

In moderne Zeiten transponiert hat sie die Künstlerin Beate Klompmaker, die seit sechs Jahren mit ihrer Familie gleich nebenan am Richardplatz wohnt und regelmäßig beim Festival mitmacht. Und die Postanschrift der Kunstfigur stellt Beate Motel, Mitgründerin und Leiterin des Museums im Böhmischen Dorf. Beide sind Fans der wackeren Eleonore.

Motels großartig verrumpelte Scheune im verborgenen Innenhof zwischen Richardstraße und Kirchgasse ist erprobte Kulturspielstätte. „Vernissagen, Vorträge – haben wir alles“, sagt sie und ist froh, dass durch die Kunstaktionen, Führungen, Konzerte, Lesungen und Ausstellungen des Festivals so viele neugierige, offene Leute nach Neukölln kommen.

Beim Festkonzert zum Auftakt schlägt prompt wieder die böhmische Tradition durch. Der 1779 gegründete Bläserchor der böhmischstämmigen Herrnhuter Brüdergemeinde war der erste der Stadt. Freitagabend bläst er Rixdorf zusammen mit elf Kapellen ein Geburtstagsständchen.

Freitag 19 Uhr bis Sonntag 19 Uhr, Eröffnung mit Blaskonzert: 18.30 Uhr Richardplatz, zentraler Infopunkt: Passage, Karl-Marx-Straße 131, Programm im Internet: 48-stunden-neukoelln.de

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