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Amtsmissbrauch: Lockruf für den rechten Stammtisch

Gedenkstätte Hohenschönhausen: Ein "Deutschnationaler“ führte Besucher durch den Schreckensort des SED-Regimes. Der Ex-Stasi-Häftling lud zu obskuren Veranstaltungen. Jetzt ist er seinen Job los.

Von Frank Jansen

Der Grusel des ehemaligen Stasi-Gefängnisses in Hohenschönhausen reicht eigentlich aus. Hohe Mauern, Wachtürme, schwere Gitter – der Schrecken des SED-Regimes ist in der Gedenkstätte noch sehr lebendig. Zumal ehemalige Häftlinge des MfS-Kerkers bei Führungen authentisch schildern, was hier geschah. Doch einer der Zeitzeugen, so erinnern sich zwei Besucher, habe nach der Führung Anfang Dezember ein weiteres Frösteln verursacht. Als er sie in ein Besprechungszimmer bat, eine Zigarre anzündete und zu dozieren begann. Nicht nur über seine Haft, seine Flucht aus der DDR, seine Fluchthelferaktionen. Sondern auch über seinen politischen Stammtisch, über den Stammtischgast Horst Mahler, über das Holocaust-Mahnmal, über eine „Reichsregierung“ aus dem Spektrum der Sekten, die das Existenzrecht der Bundesrepublik bestreiten. „Das Beklemmende war“, sagt einer der beiden Besucher, dass man „Satz für Satz das Gefühl bekam, mit einem ausgewiesenen Rechtsableger zusammenzusitzen“.

Ein schwerer Vorwurf. Rechte Agitation in der Gedenkstätte, die an linksextremen Staatsterror erinnern soll? Die zwei Männer, ein Unternehmensberater und ein Buchautor, haben Gedächtnisprotokolle und eidesstattliche Erklärungen geschrieben, möchten aber aus Angst vor der rechten Szene namentlich nicht in der Presse genannt werden. Der Zeitzeuge H., ein Mann Mitte 60 mit Ledermantel und Hut, habe forsch, aber sachlich die Besuchergruppe durch die Gedenkstätte geführt, sagen die beiden Männer. Am Ende kamen sie mit H. ins Gespräch. Er bat sie, in einen Raum zu folgen. Die überraschten Besucher gingen aus Neugierde mit.

H. habe „mehrmals eindringlich“ seinen „Politischen Stammtisch“ erwähnt, der im Kennedy Grill beim Rathaus Schöneberg abgehalten werde, heißt es in einem der beiden Gedächtnisprotokolle. Es sei üblich, „dass der Stammtisch zum Reichsgründungstag eine kleine Feier durchführt“. Einmal habe Mahlers Partnerin Sylvia Stolz „zur Feier des Tages“ aus Adolf Hitlers ,Mein Kampf’ vorgelesen. Horst Mahler habe lange am Stammtisch teilgenommen, sei aber dann ausgeschieden, „weil man uneinig über die Strategie gewesen sei“, wird H. zitiert.

Zum Holocaust-Mahnmal habe H. geäußert, der Ort werde „wieder seiner ursprünglichen Funktion zugeführt“. Es seien Anteilsscheine ausgegeben worden, „um später die Presslufthämmer finanzieren zu können“. Außerdem habe H. erzählt, er sei als Minister an einer „Reichsregierung“ beteiligt gewesen, steht in einem Gedächtnisprotokoll. Im anderen wird H. mit den Worten zitiert, es sei ein Dilemma, dass es zu viele Reichsregierungen gebe, „wovon jedoch nur zwei von wirklicher Relevanz seien“. Er beabsichtige, „die Wichtigste zur Erläuterung zum Stammtisch einzuladen“.

Die beiden Besucher vermieden weitgehend, die eigene Meinung preiszugeben. Später wandten sie sich aber, unvermindert empört, an den Tagesspiegel. Die Recherchen ergaben: H. ist als Wortführer eines „Politischen Stammtischs“ im Kennedy Grill mit dem Schwadroneur in der Gedenkstätte Hohenschönhausen identisch. Und es gibt ein Dokument, dass die ultrarechte Aura des Stammtischs belegt. In einem Flugblatt mit schwarz-weiß-rotem Rand und Eichenlaub in allen Ecken lädt H. als „Moderator“ für den 18. Januar 2006 zur „feierlichen Veranstaltung der Reichsgründung (1871)“ ein. Konspirativ heißt es nur, „in der bekannten Gaststätte“. Als Festredner wird Rigolf Hennig angekündigt, Herausgeber des „Reichsboten“.

Reichsgründungsfeier wird nicht bestritten

Hennig wurde im Dezember 2005 vom Landgericht Lüneburg wegen Verunglimpfung des Staates zu neun Monaten Haft verurteilt. Seit September 2006 sitzt er für die NPD im Kreistag von Verden (Niedersachen). Im selben Jahr setzte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien drei Ausgaben von Hennigs „Reichsboten“ auf den Index. Beim Berliner Verfassungsschutz heißt es zum Stammtisch, in Berlin gebe es „mehrere solcher Diskussionszirkel, in denen sich Rechtsextremisten treffen“.

H. ist überrascht, als er vom Tagesspiegel mit den Aussagen der beiden Besucher konfrontiert wird. „Das ist Denunziation“, wettert er, doch die Werbung für seinen Stammtisch gibt H. zu. Auch die Reichsgründungsfeier wird nicht bestritten, „Hennig hat einen sehr ordentlichen Festvortrag gehalten“. Aber, sagt H., er sei eingeschritten, als Sylvia Stolz aus „Mein Kampf“ vorlesen wollte. Danach habe er sich von Mahler und dessen Anhang getrennt. Und es sei lange her, sagt H., dass er „designierter Reichsminister für Wiederaufbau“ war, „da ging es um so Fragen wie Königsberg“. Auch die Geschichte mit den Anteilsscheinen zum Abriss des Holocaust-Mahnmals sei Vergangenheit. Politisch verortet sich H. so: „Deutschnational, nicht rechtsradikal“.

Das Treiben der selbsternannten Reichsregierungen interessiert ihn aber weiter. Beim letzten Stammtisch referierte ein Funktionär der „Regierung des Deutschen Reichs“, die den Reichsadler mit Hakenkreuz als „Hoheitszeichen des Staates“ präsentiert. „Wir wollen die Bürger informieren“, sagt H., „und man will wissen: wenn dieses Hakenkreuz bislang nicht verfolgt wird, wie geht denn das?“

Dass er die Gedenkstätte Hohenschönhausen , in der er seit Mitte 2007 Besucher führt, für rechte Propaganda nutzt, weist H. vehement zurück. Was er in einem Privatgespräch nach einer Führung äußere, habe mit der Stätte „null zu tun“.

Das sieht Hubertus Knabe anders. Als der Direktor der Gedenkstätte gestern morgen über den Fall informiert wird, reagiert er rasch. H. wird einbestellt und befragt. Dann entscheidet Knabe: Es wird keine weiteren Führungen von H. geben. Eine Einrichtung, die über den Schrecken eines totalitären Regimes informiere, sagt Knabe hinterher, „muss über jeden Zweifel erhaben sein, dass es hier offene oder heimliche Sympathien für totalitäres Gedankengut geben könnte“. Und er betont, der Fall H. sei in der Gedenkstätte „absolut untypisch“.

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