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Kartenverkauf für Berlinale

© dpa

Berlinale: Die Stadt ist das Fest

Sommer und Meer wie in Cannes hat die Berlinale nicht zu bieten. Dafür: Eine echte Großstadt, die auch jenseits des Festivals attraktiv ist.

Mit dem Wassertaxi über die Lagune, Cocktail-Empfänge auf gecharterten Jachten, Luxusnächte im Hotel Cipriani und zwischen den Filmen mal kurz an den Strand, all das sucht man auf der Berlinale vergeblich. Während Cannes und Venedig, die beiden anderen A-Filmfestivals, mit sommerlichem Dolce Vita, mit Mittelmeer-Kulisse, Glamour und heißen Nächten locken, gibt es in Berlin: Winter, Kälte, Schmuddelwetter. Frierende Stars und Heizpilze auf dem roten Teppich, Berlinale-Chef Dieter Kosslick jedes Jahr neu mit dekorativ geschlungenem Berlinale-Schal, und spätestens nach der Hälfte des Festivals eine Erkältung für alle. Und doch kommen die internationalen Stars offenbar besonders gern nach Berlin. Dieter Kosslick selbst witzelt schon: "Irgendwann brauchen wir überhaupt keine Einladungen mehr nach Hollywood zu schicken. Dann wohnen die Stars ohnehin alle in Berlin."

Wie verändert das Festival die Stadt? Wenn für zehn Tage der Potsdamer Platz jeden Abend im Scheinwerferlicht steht, eine Art extraterrestrischer Festival-Planet, dann ist das zumindest für Filmfans der Nabel der Welt. Doch nicht nur das, auch in der restlichen Stadt entkommt man dem Festival nicht. In der U-Bahn sieht man das Programm studierende Besucher, hört man alle Sprachen der Welt, in den Bars, Hotels, ja selbst in Museen verirren sich die Festivalbesucher. Wenn das Festival am Donnerstag mit Tom Tykwers Thriller "The International" eröffnet, ist das besonders programmatisch: Einmal im Jahr, zu Berlinale-Zeiten, ist Berlin wahrlich international.

Berline ist ein ausgesprochenes Publikumsfestival

Gilt das auch für die anderen Städte, für die ewigen Konkurrenten Cannes und Venedig? In Venedig findet das Festival auf dem Lido statt, im eng abgesteckten Bezirk zwischen Casino und Festivalpalast. Im Rest der Stadt merkt man nicht viel davon. Immerhin: Seit einigen Jahren versucht man mit Freiluftvorführungen auf dem Campo San Polo auch für die Venezianer etwas Festivalgefühl in die sommerlich touristenüberflutete Stadt zu bringen. Eine Kinostadt ist Venedig ohnehin nicht – jenseits des Festivals gibt es kaum vernünftige Filmvorführungen in den wenigen noch existierenden Kinos der Stadt. In Rom, der italienischen Filmmetropole, die sich seit drei Jahren mit einem Festival schmückt, hat man dagegen viel Filmgeschichte und viel Publikums interesse im von Renzo Piano erbauten Auditorium, doch die Programmqualität hält nicht mit. Der Wettbewerb ist ein Armutszeugnis, schon kämpft das Festival ums Überleben.

In Cannes, dem weltweit wichtigsten Filmfestival, bleibt die Filmwelt meist unter sich. Die Galavorstellungen sind für Normalsterbliche kaum zugänglich, die Hotels verdreifachen ihre Preise, das Festival ist eine Insiderveranstaltung für Einkäufer, Stars und Journalisten, und das einzige Publikumsevent ist der abendliche Auflauf am roten Teppich – dafür ist dann aber gefühlt die Hälfte der 70.000 Cannes-Einwohner auf den Beinen.

Verglichen damit ist Berlin ein ausgesprochenes Publikumsfestival. Es gibt rund 450.000 Karten für fast 400 Filme, bereits am Montag, dem ersten Vorverkaufstag, wurden 15.000 Tickets verkauft. Vom Colosseum, Cubix und International im Ostteil bis zu Zoo-Palast und Cinema Paris im Westen steht die Stadt im Zeichen der Berlinale. In diesem Jahr ist mit dem 1800 Plätze fassenden Friedrichstadtpalast sogar noch ein Großraum dazugekommen, der mit Gala veranstaltungen noch mehr Publikum anlocken soll.

Hollywood-Stars in Berlin

Auch die Stars lockt oft mehr die Stadt als das Festival selbst: Längst nicht alle schlagen wie "Cruise missiles" – so Panorama-Chef Wieland Speck – nur für wenige Stunden auf dem roten Teppich auf, auch wenn der enge Terminplan vor der Oscar-Verleihung gerade amerikanische Stars immer häufiger abzieht. Sie müssen in der Zeit Repräsentationspflichten bei Nomination-Dinners wahrnehmen. Doch die, die kommen, feiern überall in der Stadt: im Tresor (Nicolas Cage) oder im Kaffee Burger (Madonna), sie kommen sogar zwei Mal, wie Tilda Swinton im vergangenen Jahr, oder machen einen Kurzabstecher nach der Londoner Bafta-Verleihung. Es ist Berlin als coole Party Location, als internationaler Kunstort und hippe Großstadt, als historische Kulisse, nicht als Film- und Festivalstadt, das sie lockt. Immerhin ist die Berlinale von den drei Großen das einzige Großstadtfestival, da gibt es auch noch Leben jenseits der Festivalkinos. Doch was das Gemeinschaftserlebnis Kino angeht, ist die Berlinale eher vergleichbar mit kleineren Festivals wie Locarno, wo jeden Abend vor 8000 Zuschauern Freiluftkino auf der Piazza Grande geboten wird. Nicht umsonst besuchen Einkäufer aus dem Europäischen Filmmarkt auf der Berlinale besonders gern die Publikumsvorstellungen: Da kann man gleich den ersten Öffentlichkeitstest machen.

Christina Tilmann

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