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Bildung: Schluss mit Quietschen

An der Bäke-Grundschule in Lichterfelde wird Zukunft gemacht. Whiteboards ersetzen die altbekannten Tafeln. Die Kreide wird wohl dennoch nicht aussterben.

Dieses anregend nervdurchbohrende Kreidequietschen, der Hustenanfall im Kreidenebel beim Wischen mit dem trockenen Tafelschwamm, die wertvolle Denkpause nach dem Abrieb des letzten Kreideknubbels. Das sind unauslöschbare Kollektiverinnerungen der beschulten Menschheit. Die Grundschule an der Bäke in Lichterfelde bricht jetzt mit dieser Tradition. "Das Ende der Kreidezeit im Bäketal" heißt ein waghalsiges Projekt. Ziel ist die "kreidefreie Schule". Nach dem auf breiter Front gescheiterten "papierlosen Büro" ist zumindest Skepsis angebracht.

Angefangen hat alles im Februar. Schulleiter Jens Haase will ein paar Beamer kaufen, weil Beamer einfach besser sind als die ollen Overhead-Boxen. Die Verkäuferin sagt, sie habe noch was Tolleres als die ollen Beamer: das Whiteboard. Auf dieser digitalen Tafel kann man mit dem Finger malen, Bilder aus dem Internet laden, Geschichten anhören und praktisch alles machen, was ein Computer so bietet. Haase ist völlig von der Rolle. Das Ding will er haben. "Ich bin ein techniknaher Mensch."

Nur ein kleines Problem: So ein Whiteboard kostet 3600 Euro plus Strom, eine Tafel dagegen nur 650 plus die laufenden Kosten für die Kreide. Vom Geld, das die Schüler durchs Selberputzen der Schule eingenommen haben, kann Haase sechs Boards kaufen, Eltern und Wohltäter aus der Industrie steuern weitere 18 bei, da wollte sich die Senatsverwaltung nicht lumpen lassen und gab den Rest, damit alle 30 Räume der Schule inklusive Lehrerzimmer ein Computerboard an der Wand zu hängen haben.

Es gibt auch Nachteile

Die Lehrerinnen sind sehr angetan, weil sie Tafelbilder jetzt wegwischen und in der nächsten Stunde wieder herzaubern können. Auch die Kinder seien "hin und weg" von der lustig-bunten Lernsoftware und würden jetzt immer freiwillig an die neue Tafel rennen. Clemens aus der 5c bleibt jetzt in Regenpausen im Klassenraum und lädt sich Spiele aufs White board. Janko, auch 5c, findet es gut, dass er auch mal den Lehrern helfen kann.

Es gibt auch Nachteile, ganz kleine nur. Lehrerin Irina Wissmann, die den Erstklässlern das Schreiben beibringt, kann nicht mehr in Gruppen einteilen und gleichzeitig das große A an die Tafel malen lassen. Das geht nur noch nacheinander. Dafür sagt eine freundliche Softwarestimme am Whiteboard, wie das A klingt.

Die alten Tafeln sind jetzt in den Schulkeller verbannt. Haase will sie verkaufen. Auch die Overhead-Boxen warten auf den Abtransport. Für die schönen Landkarten interessiert sich vielleicht ein Sammler.

Die Kreide wir nicht aussterben

Und gab es im Kollegium keine nostalgischen Tränen? "Ich hasse Kreide", sagt Lehrerin Regina Garske. "Rissige Fingerkuppen, kaputte Fingernägel." Die typische Kreideallergie. Damit ist jetzt Schluss. Mit dem Quietschen dito.

Tafelkreide war aber auch ein schöner Einstieg in geologische, chemische oder kulturgeschichtliche Unterrichtseinheiten - das fällt nun weg. Die Sedimente der Urmeere, die Kreidezeit, die Kreidefelsen von Rügen, der Kreideabbau, die Verarbeitung zu Branntkalk für die Mörtelproduktion bei den Römern, Kalk als Dünger, Kalk als Erholungsmittel für sterbende Wälder, als Zusatz in Farben und Zahnpasten. Ein ungemein vielseitiger Stoff, auch die Schönheitsmittelindustrie hat die weiche Kreide entdeckt. Ein Bad im kreidebleichen Wasser soll Wunder wirken.

Die Kreide wird also nicht aussterben - auch nicht in den Berliner Schulen. Denn angesichts der Finanznot dürfte es noch viele Jahre dauern, bis die alten Tafeln überall ausgetauscht sein werden.

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