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Stadtleben: Das große Herz von „Texas-Willy“ Eine Ausstellung erinnert

an Willy Kressmann

Das gehörte zu seinem Feierabendprogramm: Mit Mitarbeitern des Sozialamtes machte sich der Kreuzberger Bezirksbürgermeister auf den Weg, um Senioren zum Geburtstag zu gratulieren und sich bei einem Gläschen deren Sorgen anzuhören. Als Willy Kressmann dabei erfuhr, dass viele Alte nicht in der Lage waren, sich selbst ein Mittagessen zu kochen, ließ er einen fahrbaren Mittagstisch organisieren – den ersten in Deutschland.

Ein Mann der Tat und mit großem Herzen, so sahen ihn die Kreuzberger nach dem Zweiten Weltkrieg. Kressmann, SPD-Bürgermeisterlegende des Bezirks, hatte das Amt ab 1949 inne, sein Ruf ist ihm bis heute erhalten geblieben. Vor hundert Jahren wurde er geboren, Anlass für das Kreuzberg-Museum, an die schillernde Persönlichkeit zu erinnern.

Das war er wirklich: Sein Spitzname „Texas-Willy“ war kein Spott, sondern anerkennend gemeint. Er hatte als einer der ersten Berliner Nachkriegspolitiker die Ehrenbürgerwürde einer texanischen Stadt erhalten, schaffte es auf die Titelseiten von „New York Times“ und „Spiegel“ – und rief damit Neider auf den Plan. Vier Mal war er verheiratet, in dritter Ehe mit der Architektin Sigrid Kressmann- Zschach, die den Steglitzer Kreisel entwarf.

Kressmann erkannte früher als andere die Bedeutung der Medien. Er war für Journalisten jederzeit erreichbar, lud zu Grundsteinlegungen ein, ohne dass die Finanzierung gesichert war – zum Beispiel beim Bau des Rathauses an der Yorckstraße. Zur Not ließ er Grundsteinlegungen und erste Spatenstiche auch zwei Mal veranstalten, wenn nicht genügend einflussreiche Prominenz und Presse anwesend waren. Eigenmächtig befreite er Kreuzberg von den Ladenöffnungszeiten, setzte Schrippenpreise herab und führte Straßenbenutzungsgebühren für Fahrzeuge aus dem Ostteil der Stadt ein.

Als er erklärte, er könne sich die Bundesrepublik als eine konstitutionelle Monarchie vorstellen, erntete er nichts als Kopfschütteln. Zum Gespött machte ihn der König in spe, den er zuvor im Exil während des Zweiten Weltkriegs in England kennengelernt hatte, indem er antwortete, er könne sich ein Gespann mit Kressmann als Bundeskanzler vorstellen.

Seine eigene Partei entzog ihm das Vertrauen, als er den Mauerbau als Ergebnis der Politik in Ost und West bezeichnete – ein Affront: 1962 wurde „Texas-Willy“ abgewählt, 1986 starb er. Sein Grab auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof ist seit dem vergangenen Jahr eine Ehrengrabstätte Berlins. Matthias Oloew

Ausstellung im Kreuzberg-Museum (Adalbertstraße 95a) bis 28. Oktober, mittwochs bis sonntags 12 bis 18 Uhr. Am Dienstag um 19.30 Uhr spricht sein ehemaliger Büroleiter und späterer Amtsnachfolger Günter König über seine Erinnerungen an Kressmann. Eintritt frei.

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