zum Hauptinhalt

DDR im Kino: Schüsse im Untergrund

20 Jahre nach dem Mauerfall ist die DDR als Filmstoff lebendig wie nie. Jetzt wurden im ICC Szenen für das Fluchtdrama "Go West" gedreht.

Drehort Prag – ein Paradies! Die Moldau-Metropole stellte schon viele europäische Städte dar, Regisseure schätzen sie als urbanes Chamäleon. Aber Schauplatz Prag? Den Weg kann man sich sparen, das schafft auch Berlin. Zum Beispiel wird dann das ehemalige Funkhaus in der Nalepastraße zur Prager Geheimdienstzentrale und die Zufahrtsrampe im Untergeschoss des ICC zum Nebentrakt des Prager Hauptbahnhofs. Ein ästhetischer Albtraum, gekachelt in Orange, wie man es in den Siebzigern nun mal schätzte. Bei Messen und anderen Veranstaltungen fahren dort die Taxis vor, im Alltag verirrt sich dahin nur selten jemand – Filmteams haben dort ihre Ruhe.

In der zurückliegenden Woche werden Zufallspassanten auf dem Vorplatz des ICC vielleicht irritiert geguckt haben, als Schüsse aus der Tiefe zu ihnen drangen. Keine wilde Ballerei, aber es hat doch hörbar geknallt. An drei Tagen, mit dem Mittwoch als dramatischem Höhepunkt, entstanden dort Szenen für den Ostblock-Thriller „Go West – Freiheit um jeden Preis“, den Nico Hofmanns hiesige Produktionsfirma Teamworx für Pro Sieben dreht, mit der Kölner Gilles-Mann- Filmproduktion als Partner. Sendetermin für den Fünf-Millionen-Euro-Zweiteiler von Regisseur Andreas Linke: wahrscheinlich Herbst 2010. Von 54 Drehtagen hat Berlin 18 bestritten, das Renaissancetheater stellte etwa eine Bühne in Bayreuth dar, im Funkhaus in Oberschöneweide lag auch das Potsdamer Büro eines Stasi-Majors, eine Villa am Kleinen Wannsee wurde zur bundesdeutschen Botschaft in Belgrad, und Haus Cumberland am Kurfürstendamm zum Hotel in Budapest. Auch Erfurt, Chemnitz, Dresden und Orte in Brandenburg durften mitspielen, waren mal dies, mal das.

Das Drehbuch wurde inspiriert von der Biografie eines Mannes, der 1984 mit dem besten Freund über andere sozialistische Staaten aus der DDR in den Westen geflohen war und dem Produzenten Daniel Mann davon erzählt hatte. Ähnliche Lebensgeschichten flossen ein, und so entstand allmählich die Geschichte dreier Freunde und ihrer abenteuerlichen Flucht aus der DDR über Prag, Budapest, Belgrad bis nach Bayreuth. Für einen, den vielversprechenden Jungschauspieler Frank Korbach (Sergej Moya), ist sie anfangs nicht freiwillig, er will nur seine (von Franz Dinda und Frederick Laus gespielten) Freunde zur Grenze bringen, aber die Sache fliegt auf, und er muss mit, nicht ahnend, wer sich da auf ihre Spuren heften wird: der eigene Vater, Stasi-Major Kurt Korbach (Herbert Knaup).

„Zu den Bahnsteigen in Richtung Hauptbahnhof“ – um aus dem ICC-Areal den Prager Bahnhof zu machen, braucht es nicht viel: einige Schilder in tschechischer Sprache, einige alte Skoda-Pkw, ein Kleinbus derselben Marke, darin der Major und zwei weitere Stasi-Leute, kurz vor dem Zugriff auf das flüchtige Trio. Die Kamera filmt erst das Innere, hinter den zugezogenen Vorhängen sind die vorbeilaufenden Komparsen nur als Schatten zu sehen. Dann wird es dramatisch, der Major und sein Leutnant, ein 150-Prozentiger, stürzen hinaus, irgendwann ein Schuss, der auf dem Set noch mehr einer explodierenden Knallerbse gleicht.

Erstaunlich, wie entspannt das alles abläuft, noch kann man die Dramatik, die die Szene im Film einmal haben wird, nur glauben. Auch keinerlei Gereiztheit, Nervosität, nichts dergleichen ist zu spüren – und das, obwohl die Crew seit Ende Mai dreht. Mit den Hauptdarstellern in ihren kurzen Pausen ein paar Worte wechseln? Kein Problem. Zum Beispiel mit Matthias Koeberlin, der den schießwütigen Stasi-Leutnant Frey mimt und sich in seiner Kunstlederjacke im authentischen DDR-Look doch recht unbehaglich fühlt. Oder mit Herbert Knaup, der sich noch gut erinnert, wie er das erste Mal vor der Berliner Mauer stand und sich zunächst wunderte, wie niedrig sie doch war, ganz anders als erwartet. Seine Doppelrolle als Vater und Stasi-Mann? Letztlich stelle sein Major Korbach das System nicht infrage, die Flucht des Sohnes sehe er als Verrat, an der Familie wie an der DDR, will ihn nicht fliehen lassen, zwei Jahre Bautzen, dann sei er resozialisiert. Erst ganz zum Schluss lasse er ihn ziehen.

Eine Geschichte vor dem Hintergrund der Mauer, doch kein reines Historiendrama. Für Schauspieler Franz Dinda vielmehr eine, die sich vor allem um „Freundschaft, Solidarität, Verantwortung“ dreht – kurz: um „zeitlose Themen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false