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Zappa

© ddp

Berlin-Marzahn: Eine Straße für Frank Zappa

Das Orwo-Haus, Berlins lauteste Platte, hat Grund zum Feiern: eine neue Adresse – und den eigenen Erfolg.

Von oben sieht alles ganz einfach aus, ganz klein. Autos schrumpfen auf Matchbox-Größe, Wohnhäuser und Industriehallen reihen sich aneinander wie handliche Quader, die glühende Sonne am Horizont ähnelt einem flirrenden gelben Tischtennisball. André Szatkowski blickt in die Ferne, hält in seiner Redseligkeit inne, saugt den zur Idylle geschrumpften Alltagsstress für einen Moment in sich auf. Und wirkt wie ein Spieler, der sich über einen erfolgreichen Spielzug freut.

Heute Abend wird er diesen erfolgreichen Spielzug feiern. Szatkowski versammelt dazu 17 Bands im Orwo-Haus, auf dessen Dach er eben noch stand. Als Geschäftsführer des Hauses wird er außerdem ein neues Straßenschild enthüllen. Auf dem alten stand bislang nur eine 13. Und dann trägt die 300 Meter lange Anliegerstraße, an der sich Berlins größter Proberaum für Nachwuchsmusiker befindet, endlich einen angemessenen Namen: Frank-Zappa-Straße. Benannt nach dem rebellischen Musiker, der sich nie angepasst hat, der immer irgendwie für sich und seine Musik gekämpft hat und gegen die anderen. Ein Name, der zum Orwo-Haus passt.

Es ist die erste Frank-Zappa-Straße überhaupt in Europa, sagt Szatkowski und spült seinen Stolz mit einem kräftigen Schluck Kaffee runter. Er sitzt nun wieder in seinem Büro in der ersten Etage des siebenstöckigen Hauses, in dem zu DDR-Zeiten der Film- und Fotozubehörhersteller Orwo ansässig war und dessen diffusen Chemie-Geruch man im Treppenhaus noch wahrzunehmen glaubt. An den Wänden stehen hohe Regale mit dutzenden Ordnern für Bauvorhaben 2007 oder Events 2007 bis 2009. Auch das Konzert zur Straßenumbenennung ist hier abgeheftet, Szatkowski hat es lange Zeit vorbereitet.

So fügt sich alles Stück für Stück. Zwei Jahre ist es her, dass der Orwo-Haus e.V. mit der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) einen Kaufvertrag abgeschlossen hat. Seit 1998 haben in dem leer stehenden Gebäude junge Bands geprobt, doch als das Bauamt 2004 erhebliche Brandschutzmängel feststellte, war das Künstlerbiotop bedroht. Knapp 400 Musiker fürchteten damals um ihre Proberäume, sie kämpften für das kleine Reich, das sie sich geschaffen hatten, sogar der damalige Kultursenator Thomas Flierl setzte sich für sie ein. Mit Erfolg. Die Mieter verwalten seither ihr Haus selbst, sie haben ein Sanierungs- und Finanzierungskonzept erarbeitet und den verhandelten Kaufbetrag im vergangenen Jahr beglichen. Mit Hilfe von Anwälten konnten sie die von der TLG geforderte Summe von ursprünglich 360 000 Euro auf 150 000 Euro drücken.

Wir sind immer unterschätzt worden, sagt André Szatkowski, ein Vorteil, der sich auf die Dauer bezahlt gemacht hat. Das liegt vermutlich auch an seinem Äußeren. Obwohl er einst die Schule hingeschmissen hat, wirkt der 30-Jährige wie einer, der gerade erst die Prüfungen hinter sich gebracht hat. Szatkowski trägt ein T-Shirt, Jeans und Turnschuhe, um den Hals ein Lederband mit einem blauen Stein und in den langen zusammengebundenen blonden Haaren steckt eine Sonnenbrille. In eben diesem Aufzug ist er auch zu den langwierigen Verkaufsverhandlungen mit der TLG gegangen. Unsere Taktik war das Tiefstapeln , sagt er. Eine Taktik, die aufgegangen ist. Mittlerweile proben 160 Bands und Musiker im Orwo-Haus. Rock, Pop, HipHop, Elektro und Reggae verschmelzen hier zu dem, was manche als Sound der Stadt bezeichnen. Laut wird es meist erst am Abend, aber weil sich das Gebäude im Niemandsland zwischen Industriegelände und Ausfallstraße befindet, stört sich daran keiner. Man kann hier 24 Stunden am Tag die Fenster offen lassen, sagt Szatkowski. Kreativität braucht eben Raum und Zeit.

Doch es ist nicht nur die Abgeschiedenheit, die die meisten Musiker hierher lockt, sondern auch der günstige Mietpreis. Sieben Euro kostet der Quadratmeter, das können sich auch Schüler und Studenten leisten. Besonders stark vertreten sei die Altersspanne von 16 bis 21 Jahren. Dass zudem ein paar etablierte Künstler wie Silbermond, Sängerin Jeanette Biedermann oder die Rock-Gruppe Die Happy hier üben dürfen, ist der öffentlichen Aufmerksamkeit geschuldet, aber natürlich müssten die mehr zahlen, schiebt Szatkowski schnell hinterher und klingt dabei, als wolle er sich für gängige Publicity-Mechanismen entschuldigen.

2400 Quadratmeter sind derzeit vermietet. Um die Verwaltung kümmert sich ein Team von 15 Frauen und Männern, bis auf einen Festangestellten und eine Teilzeitkraft tun sie das ehrenamtlich. So auch André Szatkowski, der selbst nebenbei in zwei verschiedenen Bands spielt und einst auf der Suche nach einem Proberaum zum Orwo-Haus kam. Lange Zeit arbeitete er als Veranstaltungsmanager bei Großereignissen wie The Dome oder Top of The Pops, dann holte er das Fach-Abi nach, um schließlich beim Orwo-Haus zu landen. Von einem voll bezahlten Job auf Hartz IV zu fallen ist so witzig nicht, sagt er, aber zum Austesten der eigenen Fähigkeiten verzichte er gerne auf Luxus. Urlaub ist gestrichen und zur Arbeit fährt Szatkowski jeden Tag von Treptow aus mit dem Rad, im Monat 700 Kilometer.

Auch wenn heute gefeiert wird – zu tun gibt es noch genug. Derzeit laufen im Erdgeschoss Ausbauarbeiten für ein Aufnahmestudio und einen Tanzsaal, auf der Dachterrasse soll vielleicht ein Café entstehen, wo sich die Musiker entspannen können. Und glaubt man Szatkowski ist das noch längst nicht alles: Ein paar Meter vom Orwo-Haus entfernt steht ein weiteres Gebäude leer. Es gebe mittlerweile schon so viele Anfragen, dass sich vielleicht ein neuer Standort lohne. Szatkowski deutet mit seinem Finger auf den welken Elfgeschosser; den könnten wir schon füllen. Zwar muss erst mal das Orwo-Haus auf sicheren Füßen stehen, aber eins hat Szatkowski gelernt, seit er wöchentlich bis zu 80 Stunden seiner Zeit in dem Musik-Biotop verbringt: Hier zu arbeiten ist wie Schachspielen: Man muss immer einen Zug voraus denken.

Klingt eigentlich ganz einfach, sieht manchmal auch so aus. Ist es dann aber mitunter doch nicht.

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