zum Hauptinhalt
Blick in die neue Heimat. Der Brite Mark Espiner erkundet Berlin.

© Thilo Rückeis

Espiners Berlin: Gegen die Gesetze der Fußball-Solidarität

Der britische Wahlberliner Mark Espiner über sein Unbehagen, eine Handvoll Fußball-Millionäre zu unterstützen, die keine Ahnung davon hat, wie man im Team spielt.

Herr we go. Expect the Wurst. Würde der World Cup durch eine spektakulär schlechte Schlagzeile entschieden, dann würde England gewinnen. Doch während die Schmetterlinge in meinem Bauch flatterten, war etwas anders. In den Tagen vor diesem Match, das für jeden Engländer, wenn nicht für jeden Deutschen, so bedeutend war wie ein Finale, schien die britische Presse erwachsen geworden zu sein. Es gab nur ein paar Hunnen-Wortspiele und sehr, sehr wenige Aufrufe zur Wiederbelebung des Zweiten-Weltkrieg-Dunkirk-Blitz-Spirit.

Stattdessen wurde ein englischer Sieg als ein “romantisches und erreichbares Ziel” beschrieben, mit dem Verweis auf eine Art von poetischem Sturm-und-Drang-Duell. Und dann las ich die außergewöhnliche Behauptung, dass ein solcher Sieg die britische Wirtschaft ankurbeln würde. 1,35 Milliarden Pfund würden all die Leute beim Feiern ausgegeben. Ich weiß, dass die Briten saufen können, aber das ist dann doch ziemlich von der Rolle.

Dies war kein gewöhnliches Match. Das Schicksal meiner Nation hing davon ab. Aber ein Konflikt schien sich in meiner Seele anzubahnen, ganz abgesehen von der britischen Wirtschaft und meinem Unbehagen, einen Haufen Fußball spielender Millionäre zu unterstützen, die kaum eine Idee von dem haben, was Teamspiel bedeutete (auf oder neben dem Platz). Dieses Mal, als Bürger Berlins, war es für mich nicht so einfach, das eigene Land zu unterstützen. Da war ich nun in Deutschland, zusammen mit einer Deutschen (naja, einer Bayerin, aber das zählt doch trotzdem, oder?), meine Tochter in einem Berliner Kindergarten, deren erste Worte gleichzeitig “cat” und “Katz” waren und die nun aus heiß und schön “scheiß” kreiert, wenn sie die beiden Wörter verwechselt. Ich bemerkte, wie ich mir eine zutiefst schockierende Frage stellte: Sollte ich Deutschland unterstützen?

Seit ich beschlossen hatte, hier zu leben, sollte ich mich doch sicherlich hinter das Team meines Gastlandes stellen. Dies wäre ein eindeutiges Zeichen von Integration, bedeutsamer als die Sprache zu sprechen, was ich kaum kann. Und wenn Deutschland gewönne, dann würden alle überglücklich sein und ich würde in einer Stadt leben, die von Fußballfreude überschwemmt wird. Sogar die deutsche Wirtschaft würde Aufwind bekommen und Deutschland hätte dann genügend Geld, um Spanien aus der Klemme zu helfen.

Gegen meine Instinkte, gegen meine nationalen Interessen und gegen die Gesetze der Fußballsolidarität, habe ich beschlossen, Lahms Elf zu unterstützen. Ich redete mir ein, dass es ganz einfach wäre - zumal Löw mit seiner Beatles-Frisur wie ein ehrenwürdiger Liverpooler aussieht. Ich versprach, nie wieder über die wortwörtliche Übersetzung von “Schweinsteiger” zu lachen (es muss schwer gewesen sein, mit diesem Namen durch die Schule zu kommen). Der Spielstart war okay. Gerade noch. Doch als meine Freundin und all die anderen Deutschen im Raum bei der ersten deutschen Chance in die Höhe sprangen, wurde mein Beschluss ernsthaft auf die Probe gestellt.

Dann kamen die echten Tore. Die der Deutschen. Und eines der Engländer. Und das Tor, das eins war, aber nicht gegeben wurde. Das hat mich aus der Balance gebracht. Das Spiel wurde mehr als nur eine Integrationsübung. Es wurde zu einer Frage der Ehre. Es schien mir, ja, unbritisch, was Fairplay anbelangt. Ich konnte nicht ein Team unterstützen, das auf diese Art und Weise gewinnen würde, egal wie sehr ich Berlin liebe. Da passierte es. Aus meiner schwarz-rot-goldenen Verkleidung brach das Kreuz von Saint George hervor. Ich hörte mich fordern, dass der uruguayische Linienrichter Mauricio Espinosa, der bizarrerweise auch noch einen Namen hat, der meinem spukhaft-ähnlich ist, einen Sehtest macht. Und dass sein Bankkonto unverzüglich überprüft wird. Ich schlug noch ein paar andere Dinge vor, aber die kann ich hier nicht wiedergeben.

Als die zweite Halbzeit begann war ich zurück auf der Seite Englands. Weil wir nicht zu den Großleinwänden der Fanmeile oder dem Haus der Kulturen der Welt gelangen konnten, beschlossen wir, die zweite Hälfte im Mauerpark in Prenzlauer Berg anzusehen.

Dann kam das dritte Tor und mit ihm ein Kloß in meinem Hals. Das Vierte fiel und damit waren auch alle Gedanken an ein im Ergebnis herumspukendes Geistertor aus der Welt geschafft. Ich dachte an all die Barbecues zuhause in England. Die Stille, die hängenden Köpfe, die Enttäuschung. Und dann schaute ich mich um. Die schwarz-rot-goldenen Perücken. Die Biergläser. Die Feuerwerke. Die hupenden Autos. Die Party, zu der ich halb eingeladen war. Ich wischte meine Tränen ab. Wenn man sie nicht besiegen kann, soll man sich ihnen anschließen, dachte ich. Trotz des Tors, das manche von ihnen als die Rache für 1966 bezeichneten, haben sie es verdient zu gewinnen. So stellte ich mich also zum zweiten Mal an diesem Tag hinter das deutsche Team, und diesmal für den Rest der Weltmeisterschaft. Machen wir es zum Sommermärchen, mit einem echten Happy End.

Sie können Mark emailen an mark@espiner.com oder ihm auf twitter @DeutschMarkUK folgen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false