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Fasching: Berlins Karnevalsumzug: Hungrig auf Kamelle

Mit den Narren ist es wie mit den Katholiken in und um Berlin: Sie sind eine kleine, unverdrossene Minderheit. Seit zehn Jahrne zieht der Umzug durch die Stadt. In Dreierreihen stehen die Leute an der Strecke durch die City-West.

Der Mann mit der Narrenkappe oben auf dem Wagen schaut die Frau da unten auf der Straße streng an. „Junge Frau!“, ruft er, „freundlich! Lächeln!“ Karneval in Berlin ist, das muss man nach zehn Jahren sagen, noch in der Entwicklungsphase. Der Mann auf dem Wagen, der aussieht wie ein fahrendes Schloss, wird das wissen. „Finde ich toll, dass ihr euch verkleidet habt!“, ruft er jetzt anderen Passanten zu, während der zehnte Karnevalszug die Gedächtniskirche passiert. Ein Punk steht da, mit zwei Flaschen „Kindl“ und drei Hunden ausgestattet. Er sieht dem Treiben zu und bewegt keine Miene. Mit den Narren ist es wie mit den Katholiken in und um Berlin: Sie sind eine kleine, unverdrossene Minderheit. Wenn immerhin die Sonne scheint wie über diesem Umzug, kommt eine gewisse Fröhlichkeit auf. Zehn Jahre Karneval, heißt es aus einem Lautsprecher – „wer hätte das gedacht?“ Der Mann mit dem Mikrofon auf dem Wagen der „Karneval-Freunde“ ruft: „Weitermachen – Dankeschön.“

Immerhin in Dreier- und Viererreihen stehen die Leute an der Strecke, manche haben sich Mühe mit ihrer Verkleidung gegeben. Am Steinplatz waren die Wagen aufgestellt worden, eine Wolke von Dieselabgasen schwebte über der etwas frugalen Sammlung. Klein-Clubs mit Kleinlastern waren dabei, Karnevalsfreunde aus Lichtenberg oder Neuenhagen.

Ein  Hänger mit einer rheinisch-aufwendigen Kulisse kam aus Brandenburg: „Brandenburg lacht sich schief“, war am Wagen zu lesen. Aber worüber lachen sie in Brandenburg? Über den Berliner Karneval? In Cottbus, beim größten ostdeutschen Narrenumzug, konnte man sich gestern angesichts der Schweizer Steuersünder-CD noch schnell mit Ablasszetteln von fiskalischer Schuld freikaufen. 4000 Karnevalisten machten mit, 100 000 Zuschauer feierten am Straßenrand.

rbb-Abendschau: Narren in der City West

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Nach Berlin kamen die Brandenburger mit einem Kleinlaster und warben schwarz-gelb dafür, dass Tempelhof Kulturerbe werden soll. Die Dekoration übernahm ein aufblasbares Passagierflugzeug, das etwas flügellahm auf dem Lastwagendach lag. Für sie war der Umzug eher eine Demonstration.

Neuenhagen grüße Berlin, schallt es jetzt in sächsischer Mundart, und: Neuenhagen verteile Kamellen an die „ausgehungerten“ Berliner. Zwei Männer, die „Pilsator“-Flaschen hinter sich im Schnee geparkt, lassen den Zug kommentarlos passieren. Karneval in Berlin ist eindeutig etwas für Leute, die gern feiern – auch dann, wenn die Straße nicht gleich mittanzt, sondern bloß erwartungsvoll lächelt. Auf der breiten Hardenbergstraße, zwischen den Hochhäusern und der Industrie- und Handelskammer, vor der Front des Oberverwaltungsgerichts entsteht nicht so ganz leicht eine animierend-animierte Atmosphäre. Manchmal sind enge Straßen wie in Köln ein Feiervorteil. Wenn dann Schlager erschallen – „Du hast mich tausendmal belogen ... ich bin mit Dir so hoch geflogen“, bleibt die Frage nach dem passenden Tanzstil erst mal offen.

Dann zieht eine Musikertruppe mit viel Blech und Trommeln unter der Eisenbahnbrücke am Bahnhof Zoo daher – und der Karneval ist ein paar angejazzte Takte lang da und ganz bei sich. Das ist die Tanzmusik, die von Köln bis New Orleans die Straßen richtig swingen lässt. Plötzlich machen die Musiker Pause. Schweigen breitet sich aus. Der Punk mit den drei Hunden dreht sich unbewegten Gesichts eine Zigarette.

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