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Redner Mathias Goike appellierte ans Publikum, die Regeln der gewaltfreien Kommunikation zu beachten.

© uwe steinert

Flughafen Tempelhof: Provokante Reden auf dem Rollfeld

Speaker’s Corner hatte am Sonntag Premiere auf dem Flughafen Tempelhof. Neun Redner und 200 Zuhörer kamen. Eine Obstkiste bleibt als Bühne stehen

Kauft im Kiez! Verbietet Bier, legalisiert Haschisch! Denkt an eure Jugend! Beschränkt die Regierungszeit der Bundeskanzler! Sagt, was ihr fühlt! Hüpft über die Barrikaden! Beobachtet euch selbst!

Womit man sich an einem Sonntagnachmittag so alles beschäftigen kann.

Der Wind säuselt in den Weiden und Kastanien im nördlichen Teil des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Von einer kleinen Bühne beim Biergarten Luftgarten, links vom Eingang Columbiadamm, werden provokante Thesen übers Rollfeld geschmettert. „Speaker’s Corner“ steht auf einem Schild hinter der Bühne. Die Weite des Flugfeldareals scheint die Kreativität der Berliner zu beflügeln: Asphaltsurfer, Lerchenbeobachter, Kite-Skateboarder und Sirtaki-Tänzer sind hier unterwegs – und jetzt auch noch Redekünstler.

Das Schild hat der Theaterregisseur und Rhetoriktrainer Peter Lüder an einem langen Pfahl in den Boden gerammt, eine Bühne aufgebaut und einen Rede-Wettbewerb organisiert. Er will in Berlin eine Sprechecke etablieren, wie sie London im Hyde Park schon seit 1872 besitzt. Jetzt haben auch die Berliner „eine Plattform, auf der Meinungen gebildet werden, einen Raum außerhalb von Küchen- oder Stammtisch“, sagt Lüder. Die Berliner gehen bei der Premiere aber etwas zögerlich an die Sache heran. Lüder hatte auf 50 Teilnehmer gehofft. 15 Interessenten hatten sich vorab angemeldet, erschienen sind fünf von ihnen. Zum Glück gesellten sich noch vier Kurzentschlossene dazu – macht neun Redner. Den Nachmittag über waren 200 Zuhörer dabei, schätzt Lüder.

Die Regeln für den Wettkampf: Jeder hat zunächst zweieinhalb Minuten Redezeit. Eine Jury aus einem ehemaligen Universitätsrektor, einer Poetry-Slammerin, einer Lektorin und einem Hörbuchsprecher sucht die acht besten aus – sie dürfen im Finale acht Minuten reden. Man merkt den Unterschied zwischen Kurz- und Langstrecke deutlich.

Auch bei Mathias Goike, der sich als Jongleur und Akkordeonspieler vorstellt. Zunächst beginnt er eine lustige Geschichte über schreiende Kinder und nörgelnde Nachbarn. Als er im Finale noch einmal auftritt, hört man aus dem Publikum: „Wir wollen die Geschichte zuende hören!“ Aber der große Mann im Hemd spricht stattdessen etwas langatmig über Gefühle und gewaltfreie Kommunikation. „Ich merke gerade, dass ich mich selber langweile“, sagt er dann und grinst. Zu den Gewinnern wird er nicht gehören.

Aber Robin Spetling. Er wirkt „authententischer, sympathischer und schön strukturiert“, befindet die Jury. Der sportliche junge Mann erzählt von seinem Lauftraining für einen Marathon und einem Spendenprojekt für die Unterstützung Intersexueller. Mehreren Teilnehmern geht es um Tempelhof. Karl-Heinz, Mittfünfziger im Karohemd, outet sich als bekehrter Fan des Parks – nachdem er vorher gegen die Schließung des Airports war.

Auch Organisator Peter Lüder ist der Park sehr wichtig: „Bei meiner Idee kamen zwei Sachen zusammen: Meine Vorliebe für Sprache auf der einen Seite und die Entwicklung auf dem Tempelhofer Feld auf der anderen“, sagt der 44-Jährige.„Hier passiert etwas, das ich wahnsinnig spannend finde: Gemeinsam mit der Bevölkerung wird ein Gelände entwickelt.“ Und Lüder trägt mit der Redeecke dazu bei. Einen zweiten Wettbewerb soll es aber erst nächstes Jahr geben. Bis dahin lässt er eine Obstkiste als Podest zurück, so dass jeder jederzeit sein Herz ausschütten kann. Und wenn nur die Lerchen lauschen.

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