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Goldschmidt

© Uwe Steinert

Geschichte: Die fremde Mutter

1938 musste eine Berliner Jüdin ihr Baby zur Adoption nach Schweden freigeben. Die heute 70-jährige Tochter hat sich nun auf Spurensuche begeben.

Magda Goldschmidt mag man kaum glauben, dass sie 70 ist. Die kleine Frau mit der roten Brille und den kurzen Haaren sprüht vor Energie. Sie erzählt ununterbrochen von ihrer ehrenamtlichen Arbeit im Jüdischen Museum in Kopenhagen, von ihrer Familie und der Zeit in Schweden. Und sie fühlt sich wohl in Berlin. Immerhin ist es ihr Geburtstagsurlaub. Es sei eine lange Tradition, an runden Geburtstagen mit der Familie etwas ganz Besonderes zu unternehmen, sagt sie. Aber die gemeinsame Reise mit ihrem Mann und den zwei Söhnen von Kopenhagen nach Deutschland ist für Magda Goldschmidt kein normaler Urlaub, sondern eine Reise in die eigene Vergangenheit. Hier hat sie die ersten Monate ihres Lebens verbracht. Dann kam sie zu Adoptiveltern nach Stockholm. 70 Jahre später macht sie sich auf die Suche nach den Spuren ihrer leiblichen Mutter.

Angefangen hatte alles an ihrem ersten Schultag in Stockholm. Der Lehrer las aus ihren Einschulungsdokumenten vor, in denen Berlin als Geburtsort stand. Magda war perplex. „Meine Eltern hatten mir immer gesagt, ich sei in Stockholm geboren.“ Erst als sie 21 wurde, erzählte ihr eine gute Freundin, dass sie selbst ein Adoptivkind aus Deutschland sei und dass Magda ebenfalls aus dem Waisenhaus nach Schweden gekommen sei.

Magda erfuhr die ganze Geschichte: 1938 wurde sie in Berlin als uneheliche Tochter einer Else Rosenthal geboren. Eine Zeit, in der ein uneheliches Kind noch ein gesellschaftlicher Tabubruch und die antisemitischen Pogrome der Nazis schon allgegenwärtig waren. Nach vier Monaten gab sie ihr Kind zur Adoption frei – was der kleinen Magda, die in ein Säuglingsheim nach Niederschönhausen gebracht wurde, das Leben rettete. Ob die Mutter ahnte, dass der Massenmord an den europäischen Juden nur noch eine Frage der Zeit war? Im Jahr 1939 adoptierte das Ehepaar Goldschmidt aus Schweden das Kind. Gesprochen wurde in der Familie nie über die Adoption, auch später nicht, als Magda längst wusste, dass Vater und Mutter nicht ihre leiblichen Eltern waren. Erst als sie 1961 ihren zukünftigen Mann kennenlernte und ihn zwei Jahre später heiratete, fasste sich ihre Adoptivmutter ein Herz und erzählte alles.

Mehr als 40 Jahre später sitzt Magda Goldschmidt im Archiv des Jüdischen Museums in Kreuzberg vor drei Passfot

Goldtschmidt
Das letzte Foto von der Mutter? -

© Uwe Steinert

os und einem Stapel Dokumenten und Briefen vom Säuglingsheim – das ist alles, was von ihrer leiblichen Mutter geblieben ist. Auf einem amtlichen Schreiben mit einem übergroßen Reichsadler samt Hakenkreuz steht: „Ich erkläre hiermit mein Einverständnis dazu, dass mein Kind Magda Sara von den Eheleuten Goldschmidt an Kindesstatt angenommen wird.“ Mosaiksteine aus der Vergangenheit, die Magda Goldschmidt so gerne zu einem Bild zusammensetzen würde. Immer wieder schaut sie auf das Foto Else Rosenthals. Sie wirkt dabei nicht verbittert oder traurig. Man hat das Gefühl, dass sie sich auf diesem Wege einfach bei ihrer Mutter bedanken will. Für ein glückliches Leben ohne Angst vor Verfolgung.

Das Foto stammt aus dem Werksausweis der Treptower Firma Ehrich & Graetz, in der Else Rosenthal als Zwangsarbeiterin arbeiten musste. „Entlassen“ steht auf der Hülle des Fotos – eine verharmlosende Umschreibung für „deportiert“. 1942 brachten die Nazis Else Rosenthal ins polnische Vernichtungslager Majdanek, wo sie ermordet wurde.

Ein großes Fragezeichen bleibt dennoch: Denn es ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob es sich auf dem Foto tatsächlich um Magda Goldschmidts leibliche Mutter handelt. Aus den Archiven des Jüdischen Museums geht hervor, dass es zu der Zeit mehr als fünf jüdische Frauen mit dem Namen Else Rosenthal in Berlin gab. Zwei davon kommen infrage. Beide wurden ermordet. Nur von einer gibt es überhaupt ein Bild.

„Meine beiden Söhne finden, dass ich der Frau auf dem Foto sehr ähnlich sehe“, sagt die ehemalige Lehrerin mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Tatsächlich kann man in den Gesichtern der beiden Frauen Ähnlichkeiten entdecken. „Das ist immer eine sehr subjektive Einschätzung“, gibt der Archivleiter Aubrey Pomerance zu bedenken. Wenn es sich also bei der Frau auf dem Foto doch nicht um die richtige Else Rosenthal handelt? „Ich habe 70 Jahre lang damit gelebt, meine leibliche Mutter nicht zu kennen. Da werde ich es auch noch länger aushalten“, sagt Magda Goldschmidt. Und lächelt.

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