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Geschmückter Fernsehturm: Die Liebenden vom Alex

Der Frühling kommt - und mit ihm die Frühlingsgefühle. Seit einer Woche verhängt die Telekom den Fernsehturm mit Herz-Schmerz-Botschaften.

Von allen Liebenden hat eine Frau namens Jill vielleicht am meisten Pech gehabt. Ihr zusammenschweißendes, eigentlich sehr griffiges „Du – Ich – Wir“, hängt auf den höchsten Metern des Fernsehturmschaftes am Alexanderplatz. Daneben steht: „Daniel, danke, dass du immer da bist.“ Der Fernsehturm wird bekanntlich Teil einer Liebes- und Werbekampagne. Industriekletterer lassen seit Dienstag 15 bodenlange Vinylbanner mit gedruckten Liebesbotschaften am 368 Meter hohen Fernsehturm hinab, so dass am Ende dieses Wahrzeichen Berlins eine einzige große Liebeserklärung ist.

Je nach Wetter wollen die Kletterer zehn bis zwölf Tage brauchen ,bis alles fertig ist, sagt ein Telekom-Sprecher. Das Unternehmen hat sich die Werbeaktion ausgedacht. Schon deshalb will der Berlinbürger das Ganze nicht niedlich oder gar romantisch finden. Weil man sich selber dafür hasst, wie einen die Telekom immer wieder kriegt. Mit Tränendrüsen-Paul-Potts-PR, Werbung, in der Liebende im Winterstau stecken bleiben und Lieder singen oder mit dem aktuellen Spot, in dem Millionen Rosenblätter auf schöne, verliebte Köpfe fallen.

Bei der Fernsehturmaktion – die Botschaften konnten übrigens zuvor im Internet bei der Telekom abgegeben werden – fällt das Dooffinden nicht allzu schwer, denn die Industriekletterer sind bisher nicht allzu weit gekommen. So kann man, sehr grob geschätzt, bisher vielleicht 15 Meter Liebesschwüre lesen. Zumindest dann, wenn man sich bei klarem, aber auch nicht zu sonnigem Wetter mit einem Fernglas an einer günstigen Stelle postiert und während des Lesevorgangs so lebensmüde ist, den Blick starr im Rohr verharrend, um den Turm herumzulaufen, um auch das Ende der Sätze lesen zu können. Das ist ein überaus unromantischer Moment. Jemand, der sich auf diese Weise auf die Suche nach einer für sich bestimmten Liebeserklärung macht, hat sie auch bitter nötig.

Es wird keinen Moment geben, in dem ein Mensch namens „Schatz“ in seinem grauen Berliner Alltag über den Alexanderplatz zum nächsten Termin hetzt, zufällig nach oben schaut und plötzlich ergriffen innehält, weil er soeben gelesen hat, dass sich seine bessere Hälfte auf die gemeinsame Hochzeit freut.

Vielleicht hängen die oberen Sprüche aber auch mit Absicht oben, wo sie niemand lesen kann, weil sie besonders einfallslos und beliebig klingen. „Du bist der wichtigste Mensch“, „Ich liebe alles mit uns“, „Schatz, danke für jede Minute“ oder – um den poetischsten Erguss nicht zu verschweigen: „Wollen wir noch so einen dazumachen (sic!)? Du bist ein Traum aus Gold, ich liebe dich.“

Unten, mit bloßem Auge erkennbar, hängen dann später wahrscheinlich nur noch Rilke-Zitate oder die Botschaften unentdeckter Berliner Lyrik-Talente und nicht mehr Dinge wie: „Engel, du bist immer in meinem Herzen“ und „weil ich dir heute noch nicht gesagt habe, wie lieb ich dich hab.“ Jills Freund wird nicht sehen, dass Jill es wirklich ernst meint mit ihm. Ach, vielleicht doch. Dies ist für Jills Freund: Du – Ich – Wir! Elena Senft

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