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Hauptstadt-Literatur: Der Sound einer Großstadt

Ulrich Peltzer hat sehr genau hingehört. Sein Roman "Teil der Lösung" trifft das Berliner Lebensgefühl.

Der Mann ist kein Nostalgiker. Er findet Berlin, so wie es jetzt ist und morgen wohl sein wird, spannend. Aber die Geschichte, die er vom Bethanien erzählt, während wir durch Kreuzberg gehen, ist auf eine schöne Art von gestern, auch wenn sie heute spielt. Eine West-Berliner Geschichte, kurz, simpel, achtzigerjahremäßig: Im Kunstamt Kreuzberg im Bethanien habe ein Freund als Aufsicht gearbeitet, erzählt Peltzer. Es war die Art Job, die man über das Bezirksamt bekam, gut bezahlt, gut auszuhalten, kein Stress. Damit die Künstler in den Werkstätten und Ateliers in Bethanien bei Kräften blieben, stand dort ein Automat zur Bierversorgung. Er habe seinen Freund, die Aufsicht, oft besucht, wenn sonst nichts anlag, erzählt Peltzer. Der Schriftsteller und der Kunstaufseher bedienten sich dann am Automaten. Wenn der Nachmittag vorbei war, hatte man gute Gespräche gehabt und einen Vorabendrausch. West- Berlin, 80er Jahre. Damals ging das.

Ulrich Peltzers neuer Roman „Teil der Lösung“ beginnt nicht in Kreuzberg, sondern am Potsdamer Platz. Es ist ein politischer Roman, aber nicht nur das. Er beginnt mit einer kunstvollen Aktion gegen Videoüberwachung. Es ist eine Liebesgeschichte, die einen mitnimmt, weil sie im Berliner Sommer spielt und weil Ulrich Peltzer den Berliner Sommer mit seinem brutal blauen Himmel und seiner morgendlichen Brise, seinen hitzeverströmenden Altbaumauern, seinen Nächten, die nicht aufhören, sehr mag. Es ist ein Großstadtroman, denn die Stadt ist die starke, sehr deutlich sicht- und hörbare Kulisse. Darin erinnert „Teil der Lösung“ an Bücher wie „Berlin Alexanderplatz“ oder „Manhattan Transfer“ Dem Berliner Autor ist, darüber sind sich die Literaturkritiker von der „Zeit“ über die „Süddeutsche“ bis zur „Neuen Zürcher Zeitung“ einig, ein wunderbarer Roman gelungen.

Peltzer mag seine Stadt, ist aber kein Berlin-Fetischist

Die Frau, um die es in der Geschichte geht, ist eine der Anti-Video-Aktivistinnen. Der junge Mann, um den es geht, ist freier Journalist und lebt die heute gern „prekär“ genannte Existenz, zu der eine ganze Generation verurteilt zu sein scheint. Die Stadt, um die es geht, ist eine Stadt im Umbruch.

Damit das klar ist: Ulrich Peltzer gehört nicht zu den Berlin-Fetischisten, die mit Schanghai nichts anfangen können, weil es dort keinen Lützowplatz gibt. Er mag Berlin, er ist ein Stadtmensch – „ich brauche mindestens eine halbe Million Menschen um mich herum“, scherzt er an der Bar eines Cafés in Kreuzberg, in dem sich die Männer hinter dem Tresen die Ruppigkeit des Personals der Vorwendezeit bewahrt haben. Peltzer, ein mittelgroßer Mann, fällt hier nicht weiter auf mit seinem grauen Mantel, dem grauen Schal um den Hals und dem selbstverständlichen Griff zur Zigarette. „Berlin“, sagt er, „hat den Vorteil, riesengroß zu sein.“ Aber der Zuwanderer aus Krefeld, der seit 1975 hier lebt, hat auch viel Zeit in New York verbracht. „Teil der Lösung“ endet, das gehört zur Geschichte, in Paris. Ulrich Peltzers nächster Roman soll zum Teil in Amsterdam spielen.

Die Liebesgeschichte zwischen der Studentin Nele und dem freien Journalisten Christian entwickelt sich auch nicht an Orten, die man mit einem Stadtplan bis auf die Hausnummer in der Stadt wiederfindet. Die Stadt, ihre Quartiere, ihre Straßen sind erkennbar, und man meint sogar ortstypische Gerüche wahrzunehmen. Aber die Stadt wirkt zugleich wie die Verallgemeinerung der großen europäischen Stadt – die Großstadtmaschine, 24 Stunden in Betrieb.

Es geht nicht alles um LIebe

Peltzer hat sich sein Berlin erlaufen und ersehen. Man meint die Orte wiederzuerkennen, die Gehwegplatten unter den Füßen zu spüren. Peltzer hat Berlin poetisiert, den Geschmack, die Stimmung, die Idee der einzelnen Orte gewonnen, den Sound getroffen: Neles Wohnung in irgendeinem zweiten Stock in Kreuzberg oder Neukölln; Christians Büro in einem Erdgeschoss; der Imbiss, in dem er nachts, weil er nicht schlafen kann, zwei Bier trinken geht; die Galerie, vor der die Leute in einer Sommernacht herumstehen, weil es erstens interessant und zweitens hip ist, zu dieser oder jener Vernissage in einer angesagten Straße in Prenzlauer Berg zu gehen – alles fremd-vertraute Orte. Die steinerne Stadt ist wie beseelt, hunderttausend junge Leute sind in diesen Sommernächten unterwegs. Peltzer geht mit Nele und Christian, mit deren Bekannten durch ihre berlinischen Leben. Wäre dieser Sommer in Berlin ein Sommer in New York, dann wäre er für Nele und Christian anders und doch ähnlich.

Aber es geht nicht allein um Liebe. Der Roman beginnt am Potsdamer Platz. Dieser synthetische Ort steht wie kaum ein anderer für den Umbau der Stadt: für große Investitionen. Für ein neues, videoüberwachtes Verständnis von Öffentlichkeit, für die Dauerpräsenz von Wachschützern. Als Konstruktion von Stadt hat der Potsdamer Platz für Peltzer „was außerordentlich Faszinierendes“: In kürzester Zeit hat sich an diesem Ort gezeigt, wie große Investitionen einen Stadtteil vollständig verändern können. Mit Architektur hat das nichts zu tun – Peltzer sieht am Potsdamer Platz „monumentale Belanglosigkeit“. Es geht um den Stadtumbau durch Geld und durch Technik. Peltzers subtiler Humor zeigt sich nicht nur daran, dass er an diesem Ort des konsumistischen Ernstfalls eine Aktion stattfinden lässt, die in ihrer Frechheit an die vorrevolutionären Phasen 1967 erinnert. Die Gruppe der Anti- berwachungsaktivisten, zu der Nele gehört, foppt die Security-Männer durch ihre politische Performance. Später nehmen sie sich andere Orte in der Stadt vor, zum Bespiel einen am Kurfürstendamm. Heiliger Ernst, verbunden mit anarchistischer Frechheit, treibt diese Politaktivisten zum Trip durch eine Grauzone, in der die Strafbarkeit ihrer Aktion immer mehr Bedeutung bekommt.

Eine politische Bewegtheit ohne politischen Überbau

Ahnt man das nicht in diesem Berlin von heute? Dass sich da Leute politisch motivierte Aktionen überlegen, die den Staatsschutz interessieren würden, wenn er davon wüsste? Peltzer nimmt das offenbar bei jüngeren Bekannten und Freunden wahr: eine politische Bewegtheit, die keinen ideologischen Überbau wie 1968 hat, aber theoretisch fundiert ist. Das ist dieser Wille zum Widerstand gegen G-8- Gipfeltreffen und Konsumwahn. Eine stille, untergründige Spannung trägt diesen Teil der Geschichte, etwas von der Stimmung aus dem Film „Die fetten Jahre sind vorbei“, etwas von der Durchdachtheit politischen Ungehorsams und politischer Frechheiten aus der Zeit der Situationisten und Politanarchisten von 1967.

Politik interessiert Peltzer in dem Sinn, wie sie Systeme beeinflusst. Er interessiert sich für die Veränderung von Öffentlichkeit. In allen großen Städten findet ein Umbau statt, werden ganze Viertel entmischt, verbreitet sich eine neue Vorstellung von Sicherheit und Kontrolle. „Berlin ist einfach sehr groß, sehr arm und ohne von außen einströmendes Kapital wie London, New York, São Paolo.“ Er erwähnt den Autor Mike Davis, der am Beispiel von Los Angeles untersucht hat, wie man eine Stadt so gestaltet, dass die „Homeless“, die Obdachlosen, in ihr nicht mal mehr eine Bank finden, auf der sie schlafen können. Wie es mit Berlin weitergeht, will er nicht prognostizieren. Wie es ist, wenn sehr schnell sehr viel Geld fließt, hat sich für Peltzer auch an Prenzlauer Berg gezeigt: Vor allem der Helmholtzplatz ist für Peltzer zu einem Kiez geworden, der ihm nicht mehr gefällt: zu eindimensional mit lauter Leuten derselben Generation.

Viel mehr interessieren ihn Gegensätze, Spannungsverhältnisse. Nele ist eine dieser ernsten jungen Frauen, die ihr Leben fest im Griff haben, zunächst mal allein zurechtkommen wollen und Männern mit einer prinzipiellen Strenge begegnen. Er kenne einige solcher Frauen, sagt Peltzer. Es macht ihm Eindruck, dass ihnen ihre Zeit nicht zu schade ist, um Theorie zu lesen. Nele denkt sich bei allem etwas.

Christian nicht. Er lebt dieses ausdifferenzierte Leben, für das man in Berlin immer gern neue Begriffe erfindet. Digitaler prekärer Urbanismus: Diskutieren, Budweiser trinken, an einem Roman arbeiten, der noch keinen Titel und keinen Plot hat, in Programmkinos italienische Schwarz-Weiß-Filme aus den 70er Jahren sehen. Alte Freundschaften pflegen und vor allem diesen trockenen Berliner Existenzialistenhumor – die Grundlage für die Leichtigkeit seines Seins. Aber Christian hat ein Langstreckenprojekt. Er will mit Leuten sprechen, die als Aktive den italienischen Linksterrorismus der 70er überlebt und danach untergetaucht sind, bis heute.

Peltzer, der globale Großstadtbewohner

Da ist wieder der sehr lange Schatten von 1968. Christians Kontaktmann ist ein etablierter linker Professor kurz vor der Emeritierung – eine dieser fossilhaften Gestalten aus der Steinzeit der Freien Universität, die in der Berliner Politik hier und da ein bisschen mitmischen. Noch ein berlinisches Leben. Peltzer hat die Stadt offenbar schon zu Zeiten gemocht, als sie weniger hip und attraktiv für die Jugend der Welt war als heute. Damals stand und dachte er weit links. Heute scheint er von Ideologen und Dogmen nichts mehr zu halten. Die Stadtentwicklungsmoden lässt er cool an sich vorbeiziehen. „Wenn ich irgendetwas an Städten nicht leiden kann, ist es die Homogenität von Vierteln“, sagt er. Kreuzberger In-Lokale mag er – schließlich rauchen sie da noch immer, als gäbe es kein Morgen, der Griff zur nächsten Filterzigarette erfolgt locker und diskriminierungsfrei. Er sucht das Neue, wie es wohl jeder tut, der die Stadt seit vielen Jahren kennt. Er erzählt, wie er an „Teil der Lösung“ geschrieben und an einem Tag für eine Szene sehr intensiv die Musik von Joe Jackson gehört habe. Abends sei er im „Würgeengel“ gewesen und dort Joe Jackson begegnet. Viele Amerikaner zögen derzeit nach Berlin, sagt Peltzer.

Er sagt es ohne Stolz, er bemerkt es als ein großstädtischer Mensch, als globaler Städtebewohner. Deshalb kann er auch mit der Kreuzberger Bethanien-Politik so gar nichts anfangen. Seit Juni 2005 ist ein Teil des alten Krankenhauses besetzt. Die Besetzer führen mit ihren Forderungen und ihrer Weigerung, auch nur Miete zu zahlen, eine ganze Bezirkspolitikertruppe vor. Sie reden von Sozialkultur, doch davon ist nichts zu erkennen. An diesen Bethanien-Besetzern sei überhaupt nichts links, sagt Peltzer. Die seien „das Muffigste, was aus den achtziger Jahren übrig geblieben ist“.

Ulrich Peltzer, Teil der Lösung, Amman-Verlag, 455 Seiten, 19,90 Euro

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