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Stadtleben: Kaltstart auf vier Rädern

Die Wintersportsaison hat begonnen – auch in Berlin. Den neuen Trend „Skiken“ kann man in Kursen erleben

Winterzauber im hohen Norden: Berlin und Brandenburg liegen weit von Skiliften und Alpen entfernt, doch für Wintersportfans hat die Region trotzdem eine Menge zu bieten. Es gibt Pisten und Rodelbahnen, Trainingshänge und sogar Skischanzen. Rund 400 000 Skifahrer leben in Berlin, dazu kommen unzählige Snowboarder und Langlauffans. Zum Beginn der Wintersportsaison treffen sich jetzt viele von ihnen in Turnhallen, um sich mit Skigymnastik fit zu machen. Manche sieht man auch draußen auf der Straße – „Skiken“ heißt der neue Trendsport für Skifahrer ohne Schnee.

Birgit Goll hat ihn aus dem Süden Deutschlands in die Stadt geholt. Das Wort ist eine Kombination aus Skaten, Skifahren und Biken. Die Sportgeräte erinnern entfernt an die Rollskier aus den 70er Jahren; erfunden hat sie der österreichische Tüftler Otto Eder. Mit den knapp zwei Kilo leichten Sportgeräten haben nicht nur Skifahrer Spaß. „Mir passiert es oft, dass Leute mit Inlineskates mir neugierig hinterherschauen oder mich ansprechen“, sagt Skike-Trainerin Goll. Wer sich einmal selbst auf Skikes stellt und beispielsweise durch den Treptower Park rollt, erkennt die Vorteile schnell: Man fühlt sich nicht so kippelig auf den Dingern wie auf Inlinern, und wegen der luftbefüllten Reifen kann man gut über Stock und Stein offroad fahren.

Vor einiger Zeit noch, als man das Wort Klimakastrophe noch nicht kannte und niemand es je für möglich hielt, dass die Alpengletscher Wissenschaftlern zufolge in schon 100 Jahren abgeschmolzen sein könnten – ließ es sich auf dem Teufelsberg noch vortrefflich Ski fahren. Von 1967 bis Mitte der 70er Jahre gab es dort sogar einen Skilift, selbst ein Weltcup wurde ausgetragen, und der Berliner Skiverband kämpfte lange für einen neuen Lift samt Skikanonen. Diese Pläne sind auch infolge des Mauerfalls mit schnellerem Erreichen von Harz und Erzgebirge ad acta gelegt worden. Heute schwingen Wintersportfans auch nicht mehr mit Rollskiern den Teufelsberg hinab, sondern Sportler wie Birgit Goll in ihrer orangeroten Trainingsjacke mit Helm und den Nordic-Blading-Stöcken. Die haben unten Piekser dran, so dass man sich gut vom Boden abstoßen kann. Ein bisschen umlernen muss man schon, dass man nicht wie beim Skaten mit dem Stopper am Schuh bremst. Vielmehr muss man auf Skikes etwas in Rücklage gehen, dann greifen die Bremsen sofort. Im Süden Deutschlands trainieren Skilanglauf-Olympiasieger wie Evi Sachenbacher mit Skikes. Wo man genau mit den Offroadskatern fahren darf, ist noch nicht geregelt, sagt die 44-jährige Goll. „Dafür sind sie zu neu, die kennt das Gesetz noch nicht.“ Wenn sie damit mal nicht durch den Grunewald oder den Treptower Park, sondern mitten durch die Stadt skatet, bleibt sie auf dem Bürgersteig.

Ein anderer Weg, das Skifahren in der Großstadt zu simulieren, ist die Anlage „Gletscher“ in Pankow. Dort kann man auf einem fünf Meter breiten Spezialteppich, der sich entgegen der Fahrtrichtung bewegt, seine Bögen fahren. Und bald sollen die Berliner eine eigene große Kunstschneehalle bekommen – ähnlich wie das Brandenburger „Snowtropolis“ in der Lausitz: Die Firma Polaris Development will bis Herbst 2009 eine 8000-Quadratmeter große Wintererlebniswelt in Mariendorf schaffen. Doch schon viele Skihallenpläne für die Stadt haben sich wie Nebel am frühen Morgen im Tal wieder aufgelöst, erst recht jetzt, wo Umweltschützer die Klimabilanz einer solchen Halle extrem kritisieren. Derweil kann man ja auch an der Winterwelt am Potsdamer Platz mit einem Riesenreifen die Piste hinunterrutschen. Das Ganze ist eine Werbeaktion der Wintersportregion Salzburger Land. In Brandenburg gibt es indes schon richtige Skisprungwettbewerbe, auf den Schanzen in Fürstenwalde. Schanzen standen ja auch schon mal unweit des Regierungsviertels, Anfang der neunziger Jahre, als Freeskier und Snowboarder beim „Ballantines Urban High“ Loopings und Drehungen nahe dem Brandenburger Tor vollführten.

Birgit Goll muss mit ihren Skikes indes eher über Scherben und Hundehaufen hopsen. Wer sich die Geräte zulegen möchte, bekommt sie derzeit nur übers Internet,sie kosten rund 250 Euro. Dafür passt ein Paar der ganzen Familie, denn die Schuhbindung ist variabel zu verstellen. So kann Goll auch leicht Familien schulen oder Betriebsausflüge samt Getränken und Müsliriegel organisieren. Bei manchen Schützlingen kommt aber selbst die Trainerin mal außer Puste. „Wenn Pärchen skiken, die haben sich manchmal ziemlich schnell in der Wolle.“

Annette Kögel

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