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© Doris Spiekermann-Klaas

Konzertvorschau: Stumpen: Ohne Knorkator - mit Bauchgefühl

Vor neun Monaten löste sich seine Band Knorkator auf. Jetzt kehrt Gero Ivers als "Stumpen" alleine auf die Bühne zurück.

Der Bauch ist nur rausgestreckt. Gero Ivers ist eigentlich ein schlanker Mann. Die meiste Zeit trägt er sowieso T-Shirt, hellblau ist es heute und mit einer großen Micky Maus drauf, den tätowierten Oberkörper zeigt Ivers bloß für die Fotos. Er kann auch prima die Augenlider auseinanderziehen, sodass seine Augäpfel frei liegen, aber das findet selbst die Fotografin zu eklig, und die ist einiges gewohnt.

Gero Ivers, 45, Künstlername „Stumpen“, sitzt am Müggelsee auf einer Holzbank und trinkt Malzbier. „Ist das widerlich hier“, hat Stumpen zur Begrüßung gesagt, und dann geprahlt: „Meine Heimat!“ Neun Monate ist sein letzter großer Auftritt jetzt her, das Abschiedskonzert seiner Band Knorkator in der ausverkauften Columbiahalle. Ein letztes Mal sprang Stumpen da im pofreien Badeanzug über die Bühne, schmiss Toastbrotscheiben ins Publikum, sein Bandkollege zertrümmerte das Keyboard. Die ganzen liebgewonnenen Knorkator-Rituale. Dann war Berlins berüchtigte Krawallband nach 14 Jahren Geschichte, es war an der Zeit, hieß es.

Wie es ihm erging in der Zwischenzeit? „Hervorragend.“ Mehr ist erst mal nicht zu erfahren, Stumpen ist abgelenkt, will ständig mit seinem Malzbier anstoßen, sucht das Gespräch mit einer Entenfamilie. Das Interview läuft nicht gut.

Diesen Sonntag kehrt Gero Ivers als Solokünstler zurück auf die Bühne. „Stumpen liest immer alles und singt vielleicht“, heißt das Programm, er hat über Monate auf Flohmärkten, im Keller und auf Mutters Dachboden nach Vorlesenswertem gesucht. Auch eigene Poesiealben, Bewerbungen, Zeugnisse sind darunter, eine „ganze Kombiladung“ will Stumpen zum Frannz Club in der Kulturbrauerei fahren, und dann sollen die Zuschauer auswählen, was er vorträgt. Sie können auch eigenes Material mitbringen. Stumpen verspricht: Er wird keine Bücher schmeißen. Vielleicht wird er eins aufessen. Und er will singen, wenn gewünscht auch Lieder seiner ehemaligen Band. „Da habe ich keine Hemmungen, mich beim großen Knorkator-Erbe zu bedienen.“

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Alte Zeiten: Buzz Dee, Stumpen und Alf Ator (von links).

© promo

Ein kleines Stück Kulturgeschichte habe seine Gruppe in den 14 Jahren geschrieben. Und dann sagt Stumpen etwas, das Musiker nach Auflösung ihrer Band eigentlich nie sagen, nie zugeben: „Ich bin schon ein bisschen wehmütig.“ Zu Hause guckt er sich manchmal Konzertmitschnitte und alte Fotos an. Auch Narben sind ihm geblieben, von den vielen Verletzungen, die er sich bei den chaotischen Shows zugezogen hat. In den Anfangsjahren haben sie auf der Bühne Röhrenfernseher zertrümmert, manchmal hielt sich Stumpen einen über den Kopf, und Alf Ator, der Keyboarder und Kreativchef, schmiss aus drei Metern den Vorschlaghammer drauf. Die Splitter der Mattscheiben schnitten ihnen die Füße auf. Dazu die Prellungen und Bänderrisse nach gewagten Bühnenstunts, nicht zu vergessen der Auftritt in Österreich, als Stumpen sein Mikro in die Luft warf und eigentlich fangen wollte, aber dann fiel das Licht aus, und das Mikro knallte ihm ins Auge.

Strom fiel bei ihren Auftritten häufiger aus. Meistens, weil die Veranstalter ihn abstellten, um zu verhindern, dass Knorkator ihre Schredder-Maschine einsetzten: Durch die schossen sie Obst und Gemüse ins Publikum, danach musste die Halle stets aufwendig gereinigt werden.

Einem größeren Publikum wurden sie im Jahr 2000 bekannt, durch ihren Auftritt beim Grand-Prix-Vorentscheid: Stumpen kroch wie ein Tier über die Bühne, Alf Ator zerhackte sein Keyboard. Danach beschwerte sich Dieter Thomas Heck und „Bild“ fragte: „Wer ließ diese Irren ins Fernsehen?“

„Wir haben immer übertrieben“, sagt Stumpen. „Aber wir haben es nicht wegen des Skandals an sich getan, wir haben das nur benutzt.“ Das ist bei Stumpen dasselbe wie mit dem Bauchrausstrecken: Man darf nie den Zweck vergessen.

Mit seiner neuen Show wird Stumpen in 20 Städten auftreten. Es geht um Spaß, sagt er. Und ja, auch ein bisschen ums Verdienen. „Mit Knorkator habe ich viel eingenommen, aber auch ausgegeben“. Das Geld ist weg, die Einkommenssteuer von 2007 noch nicht bezahlt. Neulich hat Stumpen nachgesehen, was er später an Rente beziehen wird: 488 Euro. „Das muss ich entweder irgendwie aufstocken oder vorher sterben.“ Nur Spaß, sagt er.

Nebenan legt gerade die Kohlhase an, ein Ausflugsdampfer. Stumpen grüßt den Fährmann. Mit seiner kleinen Tochter ist er hier viel unterwegs, sie ist sechs, und Stumpen hilft ihr beim Einkleben von Pferde-Sammelbildern.

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Stumpen am Müggelsee.

© Doris Spiekermann-Klaas

Er will nicht ausschließen, dass Knorkator nochmal zusammenkommen. „Ich kann es aber auch nicht in Aussicht stellen.“ Immerhin, neulich hat ein gemeinsamer Freund eine alte Idee ausgekramt, das „Huratorium“: Prostituierte singen Knorkator-Hits und werden dabei vom Filmorchester Babelsberg begleitet. Alf Ator hat sich den Vorschlag angehört und nicht gleich abgelehnt. Ein gutes Zeichen. Das Orchester weiß aber noch nichts von seinem Glück.

Beginn ist am Sonntag im Frannz Club um 20 Uhr, 12 Euro, Infos unter www.stumpen.de

Sebastian Leber

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