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Currywurst

© Windisch

Kultstatus Currywurst: Exotische Idee für Moskaus Schickeria

Von der Imbissbude am Ku'damm ins Luxushotel am Kreml: Gregor Biers Currywurst erfreut sich bei Moskaus Multimillionären der größten Beliebtheit. Wie eine "Schnapsidee" zum Verkaufsschlager wird.

Von der Militärparade am 9. Mai in Moskau erzählt Gregor Bier noch Wochen später mit einer Mischung aus Begeisterung und Beklemmung: Die Kampfjets der russischen Armee seien nur ein paar Meter über seinem Kopf hinweggebraust. Gut möglich, dass den Piloten dabei das Wasser im Mund zusammenlief. Denn Bier, Chef der Currywurst-Bude Ku’Damm 195, die – zumindest im Westteil der Stadt – Kultstatus hat, bringt die Urberliner Köstlichkeit inzwischen auch in Moskau an den Mann oder an die Frau.

Nicht irgendwo, sondern einen Steinwurf vom Roten Platz entfernt. Auf dem Dachgarten des Ritz Carlton, wo Russlands goldene Horde den Rubel rollen lässt. Krimsekt, Kaviar und Kreml-Panorama-Blick allein sind bei dieser Klientel jedoch keine Garantie für dauerhafte Kundenbindung. Damit die Karawane nicht unversehens weiter zieht, muss sich das Management der Nobelabsteige immer schrillere und schrägere Events einfallen lassen. In diesem Sommer ist die Wurst aus Berlin ein Muss für Moskaus Multimillionäre.

Es gibt sie zum Millionärs-Preis: 800 Rubel, umgerechnet 22 Euro kostet die Köstlichkeit. An Nachfrage mangelt’s nicht. Seit Ritz-Carlton-Chef Oliver Eller Bier für die „Schnapsidee“, wie er das Projekt zunächst nannte, begeistern konnte, ist der 37-Jährige Dauergast bei Russlands Fluggesellschaft Aeroflot. Von Montag bis Donnerstagmittag steht er in Berlin am Grill, den Rest der Woche in Moskau. Wenn er Sonntagabend mit der Nachtmaschine zurückfliegt an die Spree, übernimmt an der Moskwa Alexandra. Bier hat die dunkelblonde Mittzwanzigerin in nur drei Tagen angelernt – aber sie wendet die Würstchen sehr routiniert hin und her.

Ziemlich routiniert bewegt sich auch Bier inzwischen in Moskau, das er vor Beginn des Experiments nur vom Hörensagen kannte. Russische Emigranten gehören in Berlin zu seinen Stammkunden, Mit einigen ist er inzwischen befreundet. Als positiv verbucht er dabei vor allem Herzlichkeit und Großzügigkeit. „Wenn die 1000 Euro im Monat verdienen und Jeans oder Turnschuhe, die ihnen gefallen, für 800 Euro sehen, schlagen sie zu.“

Die Kehrseite der großen russischen Seele ist noch immer gewöhnungsbedürftig. Selbst im noblen Ritz Carlton kämpfen Götter und Management bisher vergebens gegen die Privatisierung von Produktionsmitteln durch das Personal. Dass immer wieder Messer und anderes Werkzeug Beine bekommen, steckt Bier inzwischen weg wie eine unvermeidliche Naturkatastrophe. „Echt kritisch“ indes wurde es vor ein paar Wochen, als das Küchenpersonal sich im Tiefkühllager über seine Würste hermachte. Sie und die scharfe Soße werden direkt aus Deutschland eingeflogen. Kein Fleischer in Russland kann bisher die gewünschte Qualität liefern. Als Bier sich von seinem ersten Schreck erholt hatte, zog er sein Handy aus der Hosentasche und rief seine russischen Bekannten in Deutschland an. Irgendjemand, dachte er, wird heute schon nach Moskau fliegen und kann Nachschub mitbringen. Die Rechnung ging tatsächlich auf. Und der russische Zoll hatte die Würste – immerhin fünfzehn Kilo – offenbar nicht bemerkt. Denn Fleischimporte durch Privatpersonen sind streng verboten und werden konfisziert. Bier erfuhr davon allerdings erst durch den Tagesspiegel.

Am vergangenen Wochenende warf Bier den Grill vor der Kreml-Kulisse zum letzten Mal an. Das „Curry-Event“ ist zu Ende. Bier, der seinen Auftritt im Ritz Carlton als Türöffner betrachtet und in Moskau gern eine Dependance von Ku’Damm 195 eröffnen würde, sucht nun ein kleines Lokal in guter Lage, drinnen zum Sitzen, draußen mit Stehtischen, wo die Moskowiter den kleinen Hunger stillen können. Zu sozialverträglichen Preisen. Essen, sagt Bier, sei ein Stück Kultur und er verstehe sich als Berliner Kulturbotschafter in Moskau.

Auch einen russischen Partner für das Unternehmen hat er schon gefunden, eine Partnerin: Valentina, 25, Jurastudentin und Currywurst-Fan seit dem ersten Bissen. Inzwischen, sagt Bier, würde sie beide sogar „mehr als Freundschaft“ verbinden. Elke Windisch, Moskau

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