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Stadtleben: Kussecht in Mitte

Seit 125 Jahren gibt es den Lippenstift Visagist René Koch hat eine ganze Sammlung davon

Westberlin ist einfach besser organisiert. Auf jeden Fall, wenn es ums Feiern geht. Da reicht es schon, dass René Koch zum 125. Geburtstag des Lippenstifts einlädt. Die Lippenstiftsammlung des 62-jährigen Visagisten wird zum ersten Mal gezeigt – nicht in seinem Wilmersdorfer Schönheitssalon, sondern in einer Kosmetikabteilung mitten in der neuen Mitte Berlins. Hier stehen nun all die Westberliner Urgesteine wie die Sängerin Romy Haag, der Entertainer Frank Zander, Alt-Playboy Rolf Eden und Friseur Udo Walz zwischen Vitrinen mit historischen Exponaten und kauen Minisalami und in Schokolade getunkte Erdbeeren und freuen sich, als René Koch die Galeries Lafayette für diesen Abend zum ersten Lippenstiftmuseum Deutschlands ausruft. Warum er ausgerechnet Lippenstifte sammelt? „Ich bitte Sie, das liegt doch nah.“ Der Lippenstift sei nun mal das wichtigste kosmetische Accessoire.

Immerhin werden jede Sekunde weltweit 23 Stück verkauft. Die erste Lippenfarbe in Stiftform präsentierten zwei Franzosen im Jahr 1883 auf der Weltausstellung in Amsterdam, dann dauerte es noch einige Jahrzehnte, bis in den 20er Jahren auch in Berlin öffentlich für rotbemalte Lippen geworben wurde.

René Koch, er selbst ist aufwendig geschminkt, gibt sich beim Thema Farbe für Männerlippen überraschend scheu: „Nun ja, der Lippenstift für den Mann ist die Krawatte, je dunkler, desto dramatischer – eben wie bei den Lippen der Frau.“ Bei der Frage nach dem Verhältnis der Berlinerin zum Lippenstift holt er ganz beseelt eine blau-goldene Schatulle aus einer Vitrine, um zu zeigen, wie emanzipiert die Berlinerin schon in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts war. Doppelseitig zu öffnen, versteckt sich in der Metallhülle eine Puderdose, am Scharnier ein Lippenstift und auf der Rückseite ein Zigarettenetui.

In der ersten halben Stunde ist die Ausstellung noch abgesperrt – nur Journalisten und gute alte Freunde dürfen zu ihm, wie Gloria Drechsler, die in ihrem früheren Leben „Preußens Gloria“ genannt wurde. Anfang der 60er war sie die „schönste Frau Berlins“. Ein Fotomodell, das auf einem Plakat Werbung für eine Berliner Lippenstiftfirma macht, die es schon lange nicht mehr gibt.

„Alle stellen mir heute die gleiche Frage“, seufzt Gloria Drechsler. Nämlich die nach ihrem Verhältnis zum Lippenstift. Das ist etwas zwiespältig, Preußens Gloria, natürlich eine echte Westberlinerin, findet, dass Lippenstift ihr nicht steht, „das passt nicht zu meinen Augen“. Gekommen sei sie vor allem, weil René Koch ein sehr guter Freund sei. Das ist augenscheinlich auch Udo Walz – der irrlichtert zwischen den Vitrinen herum, aber René Koch sorgt für seine Freunde: Er verteilt einfach die wartenden Kamerateams auf seine Gäste, solange er damit beschäftigt ist, die Herkunft des aus Holz gedrechselten Lippenstifts zu erklären. Weil es während des Zweiten Weltkrieges kein Metall für Lippenstifte gab, schnitzte ein Berliner seiner Frau zu jedem Geburtstag einen. „Ist das nicht echte Liebe?“, fragt René Koch gerührt.

Sein teuerstes Stück ist übrigens nicht in der Vitrine mit den Schminkutensilien der ehemaligen argentinischen Präsidentengattin Eva Perón zu finden. Es ist eine mit Saphiren besetzte Hülle, die René Koch in Frankreich für 1000 Euro ersteigerte.GTH

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