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Zur Präsentation seines Films "Lichter der Großstadt" war Charlie Chaplin (mit Stock und Hut) 1931 zu Gast in Berlin. Markschiess van Trix ist der Junge im gelben Pullover.

© privat

Markschiess van Trix: Jonny und die Artisten

Mit acht bediente Markschiess van Trix im Ballhaus Resi die Rohrpost, mit elf traf er Charlie Chaplin. Später arbeitete er als Akrobat und machte sich zum Archivar der Welt des Varietés. Jetzt wurde er 90 Jahre alt.

Es dürfte kaum noch Berliner geben, die wie Julius Markschiess van Trix seit fast 90 Jahren im selben Kiez leben. Spaziert man mit ihm über die Fischerinsel, bleiben viele stehen, nennen ihn "Jonny" und fragen, wie es gehe. Dabei wissen nur wenige, was Berlin dem Mann mit der Baskenmütze, der am Montag seinen 90. Geburtstag feierte, zu verdanken hat: "Jonny" ist ein leidenschaftlicher Dokumentar der Artistenwelt, war Gründer der Artistenschule, Archivar des Friedrichstadtpalastes, Claire-Waldoff-Chronist, Gründer der "documenta artistica" beim Märkischen Museum – und ist nicht zuletzt ein großartiger Erzähler.

"Hier war mal ein Tanzlokal neben dem anderen." Mit dem Krückstock zeigt er auf die Plattenbauten zwischen Holzmarktstraße und Strausberger Platz. Hier wuchs Markschiess van Trix auf. "Im Haus Nummer 10 war ein Lichtspieltheater und in der 11 das Resi, ein Ballhaus mit Tischtelefon, da hab ich als Achtjähriger die Rohrpost bedient." Früh musste er die alleinstehende Mutter unterstützen, früh bekam er auch Kontakt zu Theater und Varieté. Mit zehn Jahren schloss er sich den Roten Falken an, einer sozialistischen Jugendorganisation. Diese trafen sich in einem Jugendheim in der Waisenstraße, neben dem Gasthaus "Zur Letzten Instanz". "Ich hab da gerade mit meinem Freund Rechenberg Fußball gespielt", erzählt Markschiess, "dessen Eltern hatten ja da die Kneipe, als plötzlich ein großes Auto angefahren kam, ein Riesenbrummer. Richtig feine Pinkel stiegen aus. Wir waren neugierig und warteten. Als sie wieder rauskamen, sahen wir, dass es Charlie Chaplin war." Damals im März 1931 entstand ein Foto mit ihm und Chaplin, der in Berlin "Lichter der Großstadt" präsentierte. Zu dieser Zeit wusste der junge Markschiess schon genau, wer Chaplin war, las Bücher über Artisten, Schauspieler und das Varieté, hatte erste Programmhefte von Zirkus Busch in einer Mappe verstaut.

Schon früh ging er zum Verein Union-Victoria, trat mit einer Nummer am sogenannten Hängeperch auf, gab sich den Künstlernamen "Jonny". Zugleich machte er eine Lehre als Fahrradmechaniker in Weißensee, hatte einen Zweitjob im Hotel Europäischer Hof, direkt neben dem Wintergarten, wo er beim Hotelfriseur dessen Direktor Ludwig Schuch kennenlernte, der ihm neueste Plakate und Programmhefte schenkte. Von da an hieß es: Sammeln, sammeln, sammeln. "Alles, was ich in die Finger bekam, steckte ich in Kartons", erzählt er grinsend. Neben der Artistenkarriere arbeitete er als Schreibmaschinenmechaniker, wurde dienstverpflichtet, schließlich zur Wehrmacht eingezogen. An der Front, kurz vor Moskau, gründet er das Soldatentheater "Sprenggranate".

In Berlin war sein Kiez ausgebombt, und so ging er nach dem Krieg nach Braunschweig, machte eine Künstlervermittlung auf. Er selbst tingelte zwischendurch mit einer Fangstuhl-Nummer durchs Land, landete wieder in Berlin. Im Herbst 1946 dann das Aus: Markschiess flog vom Trapez, mit der Artistenkarriere war es vorbei. Er ging zur SK 13 ins Polizeirevier Berlin-Mitte, einer Sonderkommission gegen Schieber und leichte Mädchen. Schon nach drei Monaten hatte er dort eine Laienspielgruppe für Volkspolizisten aufgebaut. 1952 wechselte er zum alten Friedrichstadtpalast, zunächst als Werbeleiter. "Ich hab da die ganze Geschichte des Hauses ausgegraben, da lagen massenweise Unterlagen in den Räumen rum, die sich noch keiner richtig angesehen hatte". In dieser Zeit setzte er sich auch für junge Artisten ein und gilt als Gründer der Berliner Artistenschule, die 1956 öffnete.

Manchmal vergisst Markschiess schon mal was, doch er hat alles aufgeschrieben. In seiner Wohnung in der Wallstraße stapeln sich dicke Ordner. 1969 brauchte die DDR einen Mann, der den Kulturpark Plänterwald wieder zum Leben erweckte. Zehn Jahre später holte man ihn ans Märkische Museum,wo er in zehn Jahren die „documenta artistica“ aufbaute. Als er in der Wallstraße geeignete Räume erhielt, um sie dauerhaft zu präsentieren, erfüllte sich für ihn ein Lebenstraum. „Der war 1994 ausgeträumt“, sagt er, „meine gesamte Sammlung verschwand mit Gründung der Stiftung Stadtmuseum in den Archiven.“

Auch die Wohnung des Ehepaares Trix hat sich inzwischen wieder gefüllt. Auf der Schrankwand stehen Fotos, die ihn mit Siegfried und Roy in Las Vegas zeigen, mit Oleg Popow, Paula Busch oder Enrico Rastelli. Komplett ist sie nie. Markschiess schwenkt den Stock in Richtung Museumsinsel: „Da ist sonntags immer Flohmarkt. Da kenne ich einen, der hat vielleicht etwas für mich.“

Am Sonnabend, 15 Uhr, gibt es mit Markschiess von Trix ein GeburtstagsErzählCafé in der Kultur- und Begegnungsstätte, Fischerinsel 3.

Dolores Kummer

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