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Moabit Vice: Schulterpolster und andere Verbrechen

Sonny und Tubbs sind zurück. In „Moabit Vice“ jagen sie Gangster durch Berlin Die Folgen der Serie kann man sich kostenlos im Internet ansehen.

Gleich der erste Einsatz ist äußerst brisant. Nach einem Tipp aus der Szene dringen zwei Polizisten unbemerkt in den Reichstag ein und schleichen auf die Herrentoilette. Dort, heißt es, werden harte Drogen konsumiert. Und tatsächlich finden sie ein verdächtiges weißes Pulver am Toilettenrand. Aber dann kommt alles noch viel schlimmer.

Sonny Crockett und Ricardo Tubbs sind zurück. Fast 20 Jahre nach der letzten Folge von „Miami Vice“ gehen die zwei smarten Ermittler erneut auf Verbrecherjagd – jetzt aber in Berlin. „Moabit Vice“ heißt die Parodie auf die weltweit erfolgreiche US-Serie, fünf bis sieben Minuten dauern die einzelnen Episoden, man kann sie sich kostenlos im Internet ansehen.

Wie genau es Crockett und Tubbs nach Berlin verschlagen hat, wird dabei nicht erklärt. Aber wenn man hört, wie wehmütig sie über ihre Heimat sprechen, muss man vermuten, dass sie strafversetzt wurden. Oder wer würde freiwillig den palmenbestückten Ocean Drive gegen die Turmstraße eintauschen? „Sieht ein bisschen wie Miami aus“, sagt Sonny, als sein Wagen vor einer Lichtenberger Hochhaussiedlung hält. Dann seufzt er ganz tief.

Optisch haben sich die zwei verdeckt arbeitenden Cops kaum verändert: Sonny Crockett trägt immer noch weißes Sakko mit Schulterpolster zu weißem T-Shirt, eine Sonnenbrille ins zurückgegelte Haar gesteckt. Und wie im Original ist Kollege Tubbs stets einen Tick weniger geschmacklos gekleidet. Aber wirklich nur einen Tick.

Der Einsatz im Reichstag endet mit einem Eklat, und auch in den anderen Folgen stehen sich Crockett und Tubbs eher selbst im Weg, als tatsächlich mal ein Verbrechen aufzuklären. Sie legen sich mit Sozialbetrügern, vermeintlichen Hass predigern und einer pinkgekleideten Mädchenbande an. Und vermasseln es meistens. Sieben Episoden gibt es bislang, einige weitere wurden gerade abgedreht und sollen demnächst auf die Homepage geladen werden. Im Vergleich zum Original steht „Moabit Vice“ also noch ganz am Anfang: Die echten Seriendarsteller Don Johnson und Philip Michael Thomas waren in den achtziger Jahren 112 Mal im Einsatz.

Ausgedacht hat sich die Parodie der Berliner Filmemacher Daniel Hyan. Der 30-Jährige schreibt die Drehbücher und führt Regie. Zuerst war es wirklich bloß das Wortspiel, dass ihn auf die schräge Geschichte brachte, sagt er. „Miami Vice“ hat ihn schon in seiner Kindheit gefesselt – weil er die Serie nie gucken durfte. Seine Eltern hatten es ihm verboten, stattdessen musste er „Spaß am Dienstag“ einschalten. Bei der Umsetzung gibt sich Hyan Mühe, auch kleine Details des Originals möglichst komisch nachzuahmen. Etwa beim Intro: Im „Miami Vice“-Vorspann sieht man einen Schwarm Flamingos stolzieren, die Szene hat Hyan im Berliner Zoo nachgedreht.

Darsteller Ahmet Olgun Han, der Tubbs spielt, wohnt auch im wahren Leben in Moabit. Regisseur Daniel Hyan ist Neuköllner, nach Moabit kam er das erste Mal bei den Recherchen für sein Projekt. „Das ist ein völlig unterschätztes Viertel“, sagt er. Vor allem für Filmemacher sei der Stadtteil reizvoll, weil es dort Ecken gebe, an denen noch kein anderer Regisseur jemals gedreht habe. Und ja, es gebe durchaus Parallelen zwischen Miami und Moabit. Welche genau, fällt ihm gerade nicht ein.

Man merkt „Moabit Vice“ an, dass nicht allzu viel Geld für die Produktion vorhanden ist. Weniger als 10000 Euro kostet eine Folge, nur zehn Mann arbeiten hinter der Kamera. Es gibt keine Segelyacht im Hafen und auch keinen Alligator als Haustier. Bei den Gastauftritten musste Hyan ebenfalls sparen. Im Original waren Größen wie Bruce Willis, Julia Roberts und Ben Stiller in kleineren Rollen zu sehen, bei „Moabit Vice“ hat das Budget nur für den weithin unbekannten Berliner Rapper Gyno Fresh gereicht (größter Hit: „Deine Mutter kann nicht kochen, als ich in die Küche kam, hab ich’s gleich gerochen“). Auf ihn treffen Crockett und Tubbs, als sie im Berliner HipHop-Milieu ermitteln. Sie vermuten, dass die Brutalität der Rapper Berliner Schüler verroht und zu Straftaten anstiftet. Schnell stellt sich heraus, dass der ultraharte Gyno Fresh in Wahrheit ein Sensibelchen ist.

Auch wenn Daniel Hyan kein Geld für wilde Verfolgungsjagden, Schießereien und Explosionen hat, sind die „Moabit Vice“-Folgen doch sehenswert. Weil es sehr komisch wirkt, wenn die durchgestylten Super-Cops nicht gegen Mafiabanden kämpfen, sondern gegen Fensterscheibenputzer an der Kreuzung. Verbrecher schnappen ist wichtig, sagt Ricardo an einer Stelle. Aber mindestens genauso wichtig ist es, dabei gut auszusehen. Don Johnson hätte das nicht besser sagen können. Sebastian Leber

Die Folgen im Netz: www.3min.de
www.myspace.com/moabitvice

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