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© DAVIDS/Darmer

Paraden & Partys: Berlin im Veranstaltungsfieber

Da war was los in Berlin: Alpenbläser, Krautraucher, Glitzerrocker und Sportfreaks machten am Samstag die Hauptstadt unsicher. Und das alles bei strahlendem Sonnenschein.

Hauptbahnhof. Eine riesige rote Kuh mit weißem Kreuz steht auf dem Dach der Schweizer Botschaft. Das Kälbchen hinkt hinterher. Zwischen Hauptbahnhof und Reichstag bimmeln Kuhglocken. Die Schweiz wird 718 Jahre alt und Berlin feiert. „Heidi, darf ich auch mal blasen?“, fragt ein Tourist aus Düsseldorf. Die Frau am Alphorn grinst und winkt den Mann herüber. Heidi heißt eigentlich Cornelia. Der Name aus der Geschichte von Johanna Spyri steht nur auf ihrem gelben T-Shirt. Cornelia kommt aus St.Gallen und hat klassische Musik studiert. Normalerweise spielt sie Trompete, auf dem Fest zum Nationalfeiertag der Schweiz auch Alphorn. Drei Meter lang ist das Instrument und wiegt nicht mal fünfzehn Kilo. „Lippen nach hinten ziehen, dann Luft ins Horn reinblasen,“ sagt die 31-Jährige. Mit rotem Kopf müht der Mann sich am Mundstück ab. Einen kurzen, dünnen Ton presst er heraus. „Gar nicht so einfach,“ sagt er und schnauft.

Ein paar Meter wartet Ernst Wegener, bis er eine schwarz-weiß gefleckte Plastikkuh melken darf. „Im Schwarzwald sind die Kühe viel kleiner“, sagt Wegener. Er reibt sich die Hände, setzt sich auf den Schemel vor der Plastikkuh und quetscht mit routinierten Griffen Wasser aus dem künstlichen Euter. „Die Kuh hält wenigstens still“, sagt er. Einen dreiviertel Liter hat Wegener herausgepresst. Wer am meisten Flüssigkeit macht, gewinnt für ein Jahr lang eine geleaste Kuh auf einer Schweizer Alm.

Ungläubig starrt Scott Weston das Alphorn und die Plastikkuh an. Der Amerikaner kommt gerade aus München. Berlin ist die nächste Station auf seinem Trip durch Deutschland. Das hätte er in Berlin nicht erwartet. Ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen zupft an seinem T-Shirt und drückt Weston einen Zettel in die Hand. Am Abend sponsert die Schweizer Botschaft ein Feuerwerk vor dem Platz.

Alexanderplatz. Ein Mann stürzt sich vom Hotel Park Inn in die Tiefe. Dutzende Menschen bleiben stehen und folgen dem freien Fall des Kunstspringers. Andere zwängen sich mit vollen Einkaufstaschen an den Schaulustigen vorbei. Aus einem Ghettoblaster dröhnt laute Hip-Hop-Musik, ein Musiker trommelt dagegen an. Die Stimmung ist gereizt, die meisten Einkaufswütigen sind genervt von Lärm und Menschenmassen. Nur wenige Meter entfernt sorgt Steffen Geyer für Entspannung. Geyer arbeitet für den Deutschen Hanfverband und organisiert die Hanfparade. Eigentlich hätte der nächste Redner längst anfangen sollen. Doch der fühlt sich im Moment noch nicht bereit, vor den Anhängern der Cannabis-Legalisierung zu sprechen. Geyer zwirbelt an einer Strähne seiner schreiend roten Rastas. Er zuckt die Schultern und raucht erst mal eine Zigarette. „Bis jetzt sind sowieso noch nicht viele da“, sagt Geyer. Knapp 300 Leute hat er gezählt. Auf dem Zug Richtung Siegessäule sollen nochmal 700 dazukommen. „Die trauen sich noch nicht raus“, sagt Geyer.

Die Grüne Jugend ist da. Auch die Leute, die für ein Grundeinkommen demonstrieren, sind gekommen.  Sogar die jungen Liberalen sind zu fünft anwesend. Ihre blaugelbe Fahne lassen sie aber erst mal eingerollt. Auch die rund 30 Polizisten, die bei der Veranstaltung Dienst schieben, sind gelassen. „Solange die nicht mit einem Joint vor unserer Nase herumwedeln, sind die ganz friedlich“, sagt einer der Einsatzleiter.

Geyer sorgt erst mal für Musik: sanfte elektronische Klänge. Ein Mädchen in Blümchenrock wippt andächtig hin und her. Den Lenker ihres Fahrrads hat sie mit ein paar Hanfpflanzen dekoriert. „Das ist erlaubt“, sagt sie.

Salzufer. Neben Moses wummert der Bass. „Thunderstruck“ von AC/DC dröhnt aus einem Lautsprecher. Moses ist mit seiner Spezialanfertigung von Buell zu den Harley Days ans Salzufer gekommen. Vorsichtig poliert er mit einem Tuch den verchromten Auspuff nach. Seine Finger, jeder einzelne mit mehreren Silberringen bestückt, wandern sanft über die Maschine. „So viele Gleichgesinnte auf einem Haufen zu sehen, macht mich echt glücklich“, sagt er. Frauen in Lederminis, tätowierte Männer mit Harley-Davidson-Aufnähern auf ihren Jeanswesten. Totenköpfe und überdimensionierte Flammen auf tausenden schweren Maschinen.

Mittendrin stehen Werner und Isolde aus Zehlendorf. Er im weißen Leinenhemd und weißen Slippern, sie im rot-weißen Blümchenkleid. „Eine Harley Davidson hätte ich auch gerne,“ sagt der 70-Jährige. „Ach was,“ wirft Isolde ein. „Da muss man doch so viel putzen.“ Und eigentlich weiß Werner ja, dass unerfüllte Träume die schönsten sind.

Veronika und Rochus aus Hamburg haben sich vor einem Jahr eine BMW 1100 RT zugelegt. Mit 58 hat Rochus den Motorradführerschein gemacht. Mit einer Kolonne aus zehn Harley-Fahrern sind sie nach Berlin gekommen. „Beim Fahren sind wir uns so nah“, sagt Veronika. Das findet sie als Mitfahrerin am schönsten.

Ku’damm. Wenn der Sicherheitsmann die letzten Einkäufer aus den Läden bittet, wird es sportlich. Keine Taxis, keine Busse, keine Radfahrer: Der komplette Kurfürstendamm ist gesperrt, denn die Marathonläufer sind unterwegs. Fünf Kilometer laufen sie ab 20 Uhr, zehn Kilometer ab 20 Uhr 30. Start und Ziel ist die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche. Über insgesamt vier jeweils zwei Kilometer lange Geraden führt der Lauf über Kurfürstendamm und Kantstraße. Links und rechts an der Straße jubeln die Zuschauer den Läufern zu. Samba-Gruppen trommeln die passende Musik dazu. Nach knapp drei Stunden ist der ganze Spuk wieder vorbei, der Ku’damm wieder frei. Gefeiert wird sowieso. Tanja Tricarico

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