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Propheten-Wettstreit: Pauls WM-Schwester

Kein Fußballturnier ohne Kraken-Orakel: "Sea Life" schickt diesmal gleich acht Tiere in einen Propheten-Wettstreit, eines auch in Berlin.

Ophira fühlt sich ein wenig schlapp an diesem Nachmittag. Das Mittagessen rumort noch ein wenig in ihr herum, keiner kommt zum Spielen, und so zieht sie sich in ihre Lieblings-Amphore zurück, rollt die Fangarme zusammen und linst interessiert durch die Glasscheibe – ohne zu ahnen, dass das die Ruhe vor dem Sturm sein könnte. Denn Ophira, auf Hebräisch „Gold“, ist ausersehen, die Nachfolge des Kollegen Paul anzutreten, der sich im letzten Sommer weltweit einen Namen als Fußballprophet gemacht hat.

Auch die Krake Ophira bewohnt wie Paul ein Aquarium bei „Sea Life“, nur eben nicht in Oberhausen, sondern im Berliner DomAquarée an der Karl-Liebknecht-Straße. Und sie muss, anders als die deutschen Fußballfrauen, noch eine Art Qualifikation durchlaufen, denn auch in den anderen sieben deutschen Sea-Life-Aquarien sind Kraken (Krakinnen?) angetreten, um sich beim Vorhersagen der Ergebnisse zu beweisen.

Das Prinzip kennen wir von Paul. Oben im Aquarium hängt ein Acrylglaskasten mit zwei transparenten Röhren, die durch Scheiben verschlossen sind. In beide gibt Tierpfleger Martin Hansel etwas Futter, macht die Klappen zu und ordnet jeder der beiden Röhren eine Fußballmannschaft zu. Paul, so will es die Legende, angelte sich das Futter immer aus der Öffnung, die dem späteren Sieger gehörte – und wurde weltberühmt. Doch längst ist er in den ewigen Fanggründen, und nun muss der Nachwuchs ran zum Hellsehen.

Ophira ist gerade sechs Monate alt, kommt aus der betriebseigenen Zuchtanlage und lebt seit einem Monat in Berlin. Kraken sind etwa so intelligent wie Hunde, und sie sind auch so leicht zu langweilen. Deshalb ist jede Abwechslung recht: Kaum hält Hansel die Hand ins Wasser, pirscht sie sich nach oben, umschlingt die Finger, saugt sich fest, testet sie auf Genießbarkeit, schwimmt dann spielerisch herum. „Das kann schon mal ein wenig blutig werden“, sagt er, aber an diesem Tag ist Ophira gnädig. Solche Spiele sind nützlich für das Wohl des Tiers, und deshalb weist man bei Sea Life auch den Verdacht von sich, die Kraken nur wegen der Werbung zum Show-Objekt zu machen. „Wir sind sogar froh, dass wir das machen können“, sagt Sprecherin Nina Zerbe, „da hat Ophira ein wenig Abwechslung“.

Bis zum Beginn der WM wird das Spektakel noch ein wenig geübt. „Sie denkt gar nicht dran, die Scheiben vor der Öffnung wegzuschieben“, analysiert Zerbe, „das ist ihr zu uneffektiv. Sie schiebt einfach einen Fangarm durch die Ritze hinein und schaut, ob was drin ist.“ Auch im Öffnen zugeschraubter Gläser ist Ophira virtuos, aber diese Fähigkeit wird beim Vorhersagen nicht benötigt. Noch ist nicht ganz klar, wie die Szene vor dem Becken gestaltet wird, denn zu hell darf es nicht sein. Aber die Termine stehen fest: Das erste Orakel findet am kommenden Freitag, dem 24.Juni, um 11 Uhr statt. Die Spielerinnen von Deutschland und Kanada haben dann noch zwei Tage Zeit, sich auf das Urteil einzustellen, das ja bei insgesamt acht Kraken möglicherweise widersprüchlich ausfällt. Bewährt sich Ophira, dann steht ihr eine glänzende Karriere bevor, denn bis zur Männer-EM 2012 ist es nur ein Jahr, und sie hat noch schätzungsweise zwei Lebensjahre vor sich – so alt ist auch der unfehlbare Paul geworden.

Ophira lässt sich nicht nervös machen. Sie lässt die Hand des Aquaristen los, lässt sich elegant nach unten sinken und nimmt wieder in der Amphore Platz. Das Fernsehen kann kommen.

Das jeweilige Orakel wird im Laufe des betreffenden Tages auf der Website www.sealife.de gezeigt.

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