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Oooh. Aaah. Autsch. Zehntausende Fans freuen sich auf dem Maifeld – doch dahinter leiden viele Pferde. Nachts bleiben die Scheinwerfer an, damit sie nicht geblendet werden. Foto: dpa

© dpa

Pyronale: Die Raketen machen die Pferde verrückt

Bald ist wieder Pyronale. Dann jubeln die Fans auf den Tribünen – doch nebenan werden 200 Tiere nervös. Abends rücken Ärzte und Feuerwehr im Stall an.

Wenn Lombardo heute schon wüsste, was auf ihn zukommt, könnte er wohl nicht mehr ruhig schlafen. Doch da der achtjährige Wallach naturgemäß selten in die Zukunft blickt, steht er derzeit noch ganz ruhig in seiner Box. Das wird sich ändern, wenn das erste Septemberwochenende da ist. Dann findet auf dem Maifeld neben dem Olympiastadion, in Lombardos unmittelbarer Nachbarschaft, mit der Pyronale das Feuerwerk-World-Championat statt.

Und es ist nicht nur der hellbraune Warmblüter, der dann Probleme haben wird: Wenn es bei der fünften Pyronale wieder mächtig knallt, zischt, leuchtet und Funken sprüht, werden in der Umgebung die Pferde nervös. Denn rund um das Maifeld befinden sich drei große Reitställe mit insgesamt 200 Tieren. Zwar bleiben längst nicht alle den ganzen Abend hindurch unruhig oder werden gar panisch: „Es gibt sogar einige Pferde, die sich nach der ersten Runde entspannen und sich das weitere Spektakel dann interessiert angucken“, erzählt Gerhard Schröter, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft Reitsport-Anlagen am Olympiastadion. Doch viele Pferde haben Angst vor dem Krach, andere vor den grellen Lichtblitzen am Himmel. Einige fürchten sich sogar so sehr, dass sie für das Wochenende von ihren Besitzern vorsorglich in andere Reitställe im Berliner Umland ausquartiert werden.

In den ersten zwei Jahren der Veranstaltung hatten Pferdebesitzer und Reitstallleiter am meisten zu tun. Damals war das Feuerwerk noch wesentlich lauter und einmal kam es durch Funkenflug sogar zu einem Brand auf dem Hof des Reitsportvereins am Maifeld. Heute können die Pferdefreunde aufgrund der langjährigen Erfahrung besser mit der Stresssituation für ihre sensiblen Vierbeiner umgehen: Die Besitzer sind an diesen Abenden immer vor Ort, legen Bandagen an, damit sich ein Pferd, wenn es unruhig werden sollte, in der Box nicht verletzt. Sie machen Licht in der Stallgasse, damit die Pferde durch die Raketen nicht geblendet werden oder lassen das Radio laufen, wie es die Tiere auch tagsüber aus dem Stallalltag kennen. Außerdem bemüht sich der Veranstalter, den Reitvereinen entgegenzukommen: Die Pyronale Events GmbH bezahlt nicht nur die Tierärzte und Feuerwehrteams, die während der Veranstaltung auf jedem Hof anwesend sind. Sondern im Falle des Reitsportvereins am Maifeld auch die Umzugs- und Einquartierungskosten für besonders sensible Kandidaten. „Wir treffen uns jährlich mit den Reitstallleitern und überlegen, wie man die Situation so angenehm und stressfrei wie möglich gestalten kann“, sagt Gerhard Kämpfe, künstlerischer Leiter der Pyronale.

Trotz dieses relativ guten Einvernehmens kritisieren die Pferdefreunde die generelle Wahl des Standorts: „Aus unserer Sicht ist es nicht nachvollziehbar, warum so eine Veranstaltung ausgerechnet inmitten eines Reitsportzentrums durchgeführt werden muss“, sagt Schröter. Er habe jedes Mal Bauchschmerzen, wenn die Pyronale nahe. „Ohne die Pferde als Lebewesen auf einer Werteskala einordnen zu wollen – es stehen eben auch sehr teure Tiere auf unserem Hof“, sagt der 59-Jährige. Wenn eines der wertvollen Dressurpferde plötzlich aufgrund von Panik eine gefährliche Kolik bekomme, habe der Reiter natürlich vor allem Angst um seinen geliebten Sportkameraden. Aber auch um einen finanziellen Verlust in bis zu sechsstelliger Höhe.

Für den Reitsportverein am Maifeld geht die Pyronale jährlich regelmäßig mit einem Verlust einher: Manche Besitzer warten wegen der Veranstaltung die erste Septemberhälfte ab, bis sie ihre Pferde nach dem Sommer im Umland wieder dort einstellen. „So gehen uns Mieteinnahmen verloren“, sagt Angela Siesslack. Auch die 53-Jährige wünscht sich einen Standortwechsel, wie Schröter schlägt sie das Tempelhofer Feld vor.

„Ein wichtiger Bestandteil der Pyronale ist die Location und ihre Architektur“, widerspricht Kämpfe solchen Überlegungen. Man habe mit dem Olympiastadion einen langfristigen Vertrag, der gerade um fünf Jahre verlängert worden sei. Außerdem sei eine langfristige Planung auf dem Flughafengelände schwierig, ebenso wie die Verkehrsanbindung. Bei der verunglückten Premiere der wegen Insolvenz des Veranstalters nicht mehr stattfindenden Pyromusikale musste 2009 ein Teil der Autobahn gesperrt werden. „Auch die notwendigen Absperrmaßnahmen würden hier wegen der Größe des Geländes einen immensen Aufwand erfordern“, sagt Kämpfe. Bei der Pyromusikale verfolgten etliche Tausende das Feuerwerk von außerhalb der Absperrungen, und viele Anwohner machten es sich einfach auf ihrem Balkon gemütlich. Es wäre also durchaus denkbar, dass die Besucherzahl von 60 000 auf dem Maifeld in Tempelhof nicht erreicht werden würde. – Lombardo muss also weiter tapfer bleiben.

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