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Stadtleben: So weit die Sohlen fliegen

Hohenschönhausen ist Schauplatz eines skurrilen Turniers: der WM im Gummistiefel-Weitwurf

Beim Fußball ist es unvorstellbar, dass der Weltverbandspräsident einfach mitkickt. Bei den Gummistiefel-Weitwerfern ist das jedoch ganz anders. Jari Isokorpi erzählt gerade noch, dass seine finnischen Landsleute auch mal Autoreifen um die Wette schleudern. Da schallt sein Name durchs Stadion in Hohenschönhausen. Das schwarze T-Shirt spannt sich um Isokorpis runden Bauch, als er anläuft. Er dreht sich ein paar Mal im Kreis und wirft 34 Meter. Vor 13 Jahren erreichte er 58 Meter und war Weltspitze. Jetzt tropft Schweiß von seiner Stirn. Isokorpi ist unzufrieden.

Erstmals ermitteln die Stiefelwerfer ihre Weltmeister in Deutschland. Frauen wirbeln wasserfeste Schaftschuhe der Größe 38 durch die Luft. Bei den Männern sind es fünf Nummern mehr. Der eine schafft fast aus dem Stand 20 Meter, der andere inszeniert sich wie ein Profi. Tonu Kaasik aus Estland nimmt noch einen Schluck Bier aus der Dose, eine Hand voll Landsleute klatscht und johlt. Aber plötzlich schüttelt Kaasik entnervt seinen Kopf. Er hat die erlaubte Zeit überschritten – Versuch ungültig.

Die kleine Gemeinde mag es nicht, wenn Außenstehende die Athleten als Kirmessportler abstempeln. Ein Teilnehmer aus Italien jedoch hat den Ernst noch nicht begriffen. Er steht am Bratwurststand, als die Wettkampfleiter ihn aufrufen. Jetzt spurtet er in seinem Trikot der Squadra Azzura über den Rasen, so schnell er kann. „Simone, noch zehn Sekunden“, hetzt ihn ein Weitenmesser mit Cowboyhut. Neben Finnland, Estland, Schweden und Deutschland ist Italien die fünfte Nation, die an der Weltmeisterschaft teilnimmt.

Stiefel seien aerodynamisch hervorragend für Wettkämpfe geeignet, sagt der Berliner Eckehard Dux. Gebrauchsgegenstände zu werfen, findet er überhaupt nicht absurd. „Der Diskus war einmal ein Teller, die Kugel vielleicht ein Stein.“ Dux berichtet, wie die Sportart vor vier Jahren nach Deutschland kam. Radio Fritz suchte damals nach sportlichen Alternativen zum Fußball. Ein Halbfinne erzählte von einem beliebten Zeitvertreib auf skandinavischen Dorffesten: Stiefelweitwurf. „Ein irre Sache“, meint Dux. „Sofort riefen zehn Leute an.“ Im Oktober gründeten Medienleute den ersten Verein in Deutschland: „Gib Gummi 03“. Ein Mann der ersten Stunde war Moderator Oliver Welke. Inzwischen betreiben hierzulande sechs Klubs die Sportart. Der zweite Verein in Berlin heißt „7-Meilen-Stiefel“, in Brandenburg ist „Rauen Latex 04“ zu Hause. Trotz Aufschwungs in Deutschland: Das Ganze bleibt eine Erfindung der Finnen. Der Legende nach kämpften Soldaten damit gegen Langeweile an. Antti Junkkari aus Helsinki hat eine eigene Erklärung, warum „saappaanheitto“ so populär ist: „Stiefelweitwurf ist kein Sport für die Elite, sondern fürs ganze Volk.“ Und Verbandspräsident Jari Isokorpi ist sich sicher, dass die Titel nach Finnland gehen – egal, ob er hillft oder nicht. Werner Kurzlechner

Heute wieder ab 13 Uhr im Sportforum Hohenschönhausen, ab 16 Uhr Einzelfinals

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