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© David Heerde

Tag des offenen Denkmals: Gipsköpfe, Heilquellen, Utopien

Über 300 Orte in Berlin sind an diesem Wochenende beim Tag des offenen Denkmals zu besichtigen, darunter das Pankower Atelier der Bildhauerin Ruthild Hahne und das ehemalige Luisenbad in Wedding.

Die Büste des ostdeutschen Schriftstellers Bruno Apitz liegt in einem Metalleimer auf einem Haufen Gips. Sein abgeschlagenes Ohr steckt halb vergraben daneben. Auf einem Tisch dahinter ziehen Arbeiter mit wehenden Fahnen und erhobenen Fäusten in eine bessere Zukunft. Von schräg gegenüber schauen Lenin, Stalin und Thälmann stumm auf das Geschehen. An Stalins gipsernem Kopf sind lange schwarze Spinnweben zu entdecken.

Das Atelier der Bildhauerin Ruthild Hahne (1910–2001), das an diesem Wochenende beim „Tag des offenen Denkmals“ zu besichtigen ist, als einer von über 300 Orten in Berlin, beherbergt die Überreste einer gescheiterten Utopie. Zugleich sind es die Trümmer ihres eigenen Lebenswerks, in das sie 15 Jahre ihres künstlerischen Schaffens investiert hat. Die West-Berlinerin wurde 1950 mit einem Staatsauftrag der DDR bedacht, der seinesgleichen suchte. Ein monumentales Ernst-Thälmann-Denkmal sollte sie schaffen, ihr Entwurf sah eine sechs Meter hohe Figur des Arbeiterführers vor, auf den keilförmig zwei Demonstrationszüge mit etwa 60 Figuren zulaufen sollten, um sich hinter ihm zu vereinigen. Aus dem gewaltigen Projekt wurde nichts, 1965 wurde der Auftrag zurückgezogen.

Heute steht Thälmann mit gereckter Faust und entschlossenen Schrittes auf einem eisernen Rollwagen in dem riesigen Atelierraum und stößt fast an die hohe Decke. Einige Spachtel und Werkzeuge liegen noch zu seinen Füßen. In den Boden sind rostige Schienen eingelassen, die auf ein geschlossenen Tor zulaufen. Doch der Koloss wurde schon seit Jahren nicht von der Stelle bewegt. Hinter ihm blicken bronzene Köpfe den Besuchern entgegen: Kinderporträts stehen neben Persönlichkeiten des Sozialismus: Liebknecht, Ulrich, Lenin, Apitz, Pieck, sie alle sind hier versammelt. Drei Schülerinnen aus einem Kunstleistungskurs sind beeindruckt von der Größe der ausgestellten Figuren und dem wahnwitzigen Vorhaben. „Das ist total verrückt“, staunen sie und befinden dann: „In dieser Größenordnung hätte das niemals funktioniert – das ist völlig utopisch!“

Weniger lebensfremd zeigt sich das Areal rund um die Bibliothek am Luisenbad in Wedding. Das Gelände hat eine lange Geschichte als beliebter Ausflugsort und passt somit ganz zu dem diesjährigen Motto „Historische Orte des Genusses“. Tatsächlich hat man hier die verschiedensten Arten des Genießens praktiziert. Nachdem im 18. Jahrhundert eine Heilquelle auf dem Gelände entdeckt wurde, etablierte sich eine Bade- und Trinkkuranstalt, die bald „Luisenbad“ getauft wurde. Stetem Wandel unterworfen, beherbergte das Gelände später ein Gartenlokal, einen Biergarten und schließlich einen Ballsaal mit Kaffeeküche, der 1911 zum Kino umgebaut wurde und bis 1963 in Betrieb war.

Eine riesige Menschenmenge schiebt sich über das Gelände, immer mehr Besucher strömen in die versteckte Oase in einem Hinterhof der Badstraße. Über 200 Besucher zählt die Gruppe. Die Veranstalter sind überwältigt von dem großen Interesse. Als der Rundgang im festlichen Puttensaal oberhalb der Bibliothek endet, gibt es kaum noch Platz zum Stehen. Die historische Wasserquelle ist zwar versiegt, doch das Interesse an dem Ort ist lebendig. Geblieben ist auch die Freude am Genuss – heutzutage ist es der Lesegenuss, der die Gäste dorthin treibt.

Jenny Becker

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