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Wildtierbeauftragten Derk Ehlert

© Steinert

Tiere in der Stadt: Am Alex auf der Pirsch

Viele Wildtiere erobern sich Berlin als ihren Lebensraum. Auf nächtlicher Tour mit Berlins Wildtierbeauftragten Derk Ehlert - Füchsen und Waschbären auf der Spur.

Touristen fotografieren den Fernsehturm bei Nacht, Ladenbesitzer schließen ihre Geschäfte ab. Feierabend. Nicht für Derk Ehlert. Um Mitternacht setzt der 42-Jährige sein Fernglas an und lässt seinen Blick über den Alexanderplatz schweifen. Da ist was! Nein, nur eine Taube. "Dort drüben, in dem Container und unterm Schuppen wohnen die Füchse." Waschbären, Marder, Wildschweine, er kennt sie fast alle: Derk Ehlert ist der Wildtierbeauftragte und Jagdreferent der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Wir sind auf Nachtpirsch nach Wildtieren mitten in der Großstadt.

Neulich erst war ein Fuchs am Alex unterwegs, am helllichten Tag, rotbraun glänzend. "War das der mit der gekappten Lunte, oder hatte er einen intakten Schwanz?", fragt Ehlert und setzt sein Fernglas ab. Zwei Füchse leben derzeit zwischen Fernsehturm und Rotem Rathaus. Oft wird Ehlert informiert, wenn beim Senat, der Polizei, dem Veterinäramt, den Forsten oder der Feuerwehr "Wildtieralarm" ausgerufen wird. "Ich fahr dann auch manchmal mitten in der Nacht raus."

Mehr Füchse in der Stadt als im Berliner Wald

In einem Neuköllner Hinterhof hat der 42-Jährige sogar schon mal eine Fuchsfamilie auf einer überwucherten Pergola entdeckt. "Im Stadtgebiet leben schätzungsweise fünfmal mehr Füchse als im Berliner Wald." Die meisten Menschen laufen am Potsdamer Platz an den Erdlöchern einfach vorbei, Ehlert weiß: Das sind Fuchsbauten. Durch die immer weiter zunehmende Bewirtschaftung der Natur werde der Lebensraum monoton, Kleinsttiere, Beeren und Schnecken verschwinden vom Speiseplan. Zwischen Häusern und Asphalt aber, da finden Fuchs & Co überall einen gedeckten Tisch. So haben sie sich einen neuen Lebensraum erobert. Ehlert startet seinen grünen VW-Bus mit Senatskennzeichen. Die größten Feinde der vierbeinigen Neu-Berliner sind vermutlich die Tierfreunde, die die Wildtiere füttern und zu zahm machen. Das, sagt Ehlert, bedeute zuweilen ihr Todesurteil. "In Zehlendorf am Messelpark mussten wir mal eine Bache und ihre Frischlinge erlegen." Die hatten sich auf einem Kinderspielplatz so heimisch gefühlt, dass sie da gar nicht mehr weg wollten. Die Kinder haben die Frischlinge auf den Arm genommen und tagsüber legten sich die Tiere zum Wärmen auf die Clayallee - bis der Jäger eingreifen musste.

Vielen Städtern machen die Tiere Angst

Jetzt führt die Fahrt zu einem Kinderspielplatz in Tempelhof. "Wenn man sich mit Wildtieren beschäftigt, fängt man an, die Stadt mit anderen Augen zu sehen." Spielplätze zum Beispiel. Auf dem Schild steht: Hundeverbot. Sind die Hunde erst verbannt, kommen die Wildtiere. 1600 Füchse gibt es etwa in der Stadt, "quasi an jeder Straßenkreuzung einer". Vielen Städtern machen die Tiere Angst - unnötigerweise, sagt Ehlert. Auch Fuchstollwut gebe es seit mehr als 15 Jahren nicht mehr in der Stadt, ebenso wenig wie den Fuchsbandwurm.

Auf dem Spielplatz macht sich Ehlert auf Spurensuche. Er fixiert kleine Hügel und Steine, auf denen die Tiere ihre Losungen hinterlassen, zur Markierung. "Die Leute denken immer, ich spinne", sagt Ehlert und hebt eine leere Plastiktüte auf. Es geht ihm aber nicht um Sauberkeit, sondern er kontrolliert nur, ob er typisch zackige Bissspuren des Fuchses erkennt. Ehlert ist Ornithologe, hat Landschaftsplanung studiert und arbeitet bei der Senatsverwaltung außerdem innerhalb des Landschaftsprogramms am Biotopverbund Berlins. Er wurde oberster Wildtierschützer und Großstadtmenschenberater. Sein Benimm-Tipp: Wenn ein Wildschwein über den Weg läuft, langsam den Rückzug antreten. Und: Mit dem Tier reden, laut, das kennt es von Menschen, dann bleibt es ruhig.

Tierische Neu-Berliner

Der nächste Einsatz: Hasenheide. "Die Polizei rief an. Hier sollen Menschen Füchse füttern." Auf dem Weg durch den Park erzählt Ehlert von den eher exotischen Neu-Berlinern: Wegen der Klimaerwärmung zieht es immer mehr Tiere aus südlichen Gefilden in die Stadt, andere Exoten werden von Reisenden versehentlich aus dem Urlaub mitgebracht, andere wollen ihre lästig gewordenen Haustiere loswerden. Heimisch wurde so beispielsweise die chinesische Wollhandkrabbe in der Havel. "Die werden sogar von Fischern gefangen, weil sie so lecker schmecken sollen." Höckerschwäne gelten ebenfalls als Zugezogene wie auch der Mink, ein marderartiges Wesen, das am Wasser jagt.

Neulich erst bekam Ehlert einen Anruf, weil zwei Marder mit ihren Jungen in einem Zehlendorfer Hausdach ordentlich Radau machten. Einstige Waldbewohner wie Wildschweine graben derweil die Vorgärten um und plündern die Kompostanlagen. Unter den Förstern gilt inzwischen eine Faustregel: Wenn Füchse das erste Jahr im Straßenverkehr überleben, lernen sie mit Autos umzugehen und haben gute Chancen, in der City alt zu werden.

Das wohl bekannteste Wildtier der Stadt ist Waschbär Alex, der in der Parkgarage am Hotel Park Inn lebt. Rund 100 Waschbärfamilien sind in Berlin zuhause, einst entkamen ihre Vorfahren aus Pelztierfarmen im Umland. Ehlert erkennt viele von ihnen an Fell oder Färbung. Einer lebt unweit des Breitscheidplatzes, einer in einem Mietshaus am Volkspark Friedrichshain. Wo genau die Tiere sind, verrät Ehlert nicht. "Sonst beginnt der Füttertourismus."

In Alex' Parkhaus regt sich in dieser Nacht nichts. Der Müllsack im Papierkorb wirkt zerzaust - ansonsten Stille. "Das liebe ich an Wildtieren. Dass sie ihren eigenen Kopf haben und sich dann zeigen, wenn sie wollen", sagt Ehlert. Feierabend.

Wildtiertelefon: 030-64193723. E-Mail: wildtiere@senstadt.berlin.de  

Annette Kögel

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