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Stadtleben: Untergang in Berlin

Morgen läuft der TV-Streifen über die „Gustloff“ Vor 50 Jahren wurde das Drama schon mal verfilmt

Aus der Spielfilmperspektive konnte man auf hiesigen Kinoleinwänden schon die unterschiedlichsten Schiffskatastrophen miterleben. Der Untergang der „Titanic“ war zweifellos die bekannteste, das Schicksal der „Estonia“ die mysteriöseste. Die mit mehr als 9000 Toten folgenreichste Tragödie aber war die Versenkung des Flüchtlingsschiffs „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar 1945 durch ein sowjetisches U-Boot. Sie lieferte den Stoff für einen Zweiteiler von Joseph Vilsmaier, den das ZDF am Sonntag und Montag zeigt. Unlängst war er schon im Cinestar am Potsdamer Platz zu sehen, als Sondervorführung einer Kurzfassung für die Mitglieder des Bundestages. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel war anwesend, die um Filmpremieren sonst einen Bogen macht.

Es ist die zweite Filmversion des „Wilhelm Gustloff“-Untergangs, die in Berlin gezeigt wurde. Die erste war im Frühjahr 1960 im Zoo-Palast zu sehen: Frank Wisbars „Nacht fiel über Gotenhafen“, seinerzeit sehr erfolgreich und dennoch nur in einem Kino zu sehen, wie damals üblich. Ein ambivalentes Werk, das, wie der Tagesspiegel-Rezensent befand, „zwischen mitunter fast ins Sentimentale abrutschender Kolportage und der Genauigkeit einer Reportage“ schwankte. Anders als Joseph Vilsmaier, dessen Film keinerlei Berlin-Bezüge aufweist, holte Frank Wisbar über die weit ausholende Exposition der Katastrophe auch die alte Reichshauptstadt in seine Geschichte hinein.

Die Vorlage zu „Nacht fiel über Gotenhafen“ – in der NS-Zeit trug Gdingen diesen historisierenden Namen – lieferte ein Bericht im „Stern“. Zu den Darstellern gehörten Sonja Ziemann, Gunnar Möller, Erik Schumann, Brigitte Horney, Dietmar Schönherr und Günter Pfitzmann. Die Studioaufnahmen entstanden im Filmatelier Göttingen, das 1949 auf einem ehemaligen Wehrmachtsflugplatz gegründet worden war und bis 1961 ein Zentrum der deutschen Filmindustrie bildete. Über 100 Spielfilme entstanden vor den Toren der alten Universitätsstadt, darunter „Liebe 47“ (nach Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“), „Rosen für den Staatsanwalt“, „Königliche Hoheit“ oder auch Wisbars Stalingrad-Film „Hunde, wollt ihr ewig leben?“. Die Außenaufnahmen wurden in Bremerhaven und vor Helgoland gedreht, als „Gustloff“ diente die „Arosa Sun“.

Das Projekt zeigte also nicht gerade eine große Nähe zu Berlin, dennoch ließen Wisbar und sein Co-Autor Victor Schuller größere, und für das Schicksal der Protagonisten entscheidende Szenen an der Spree spielen. Der Film beginnt an Bord des KdF-Schiffes auf einer seiner Nordlandfahrten, am Vorabend des Krieges. Eingeführt werden Maria Göritz, spätere Reiser, Ansagerin des Großdeutschen Rundfunks (Sonja Ziemann), ihr Kollege und Verlobter Kurt Reiser (Gunnar Möller) und der flotte Marineleutnant Hans Schott (Erik Schumann), mit dem sie sofort zu flirten beginnt – der Mann ihres Lebens. Später in Berlin, aber da ist sie leider schon mit dem falschen verheiratet, treffen die beiden sich wieder, feiern zusammen, während der Ehemann an der Front ist, geraten in einen Luftangriff, löschen einen in Brand geratenen Dachboden – und sinken danach einander in die Arme. Das bleibt nicht ohne bald sichtbare Folgen. Eine private Schicksalsgeschichte also, die in der Katastrophe des Untergangs der „Gustloff“ ihr tragisches Ende findet. Doch trotz der ausführlichen Berlin-Szenen: Die Premiere am 25. Februar 1960 fand nicht an der Spree, sondern an der Leine statt – im Kino „Weltspiele“ in Hannover.

Noch einmal sollte die „Gustloff“ in Berlin eine die Öffentlichkeit bewegende Rolle spielen, nicht aber filmgeschichtlich, sondern politisch. 1979 hatten polnische Taucher die 300 Kilogramm schwere Schiffsglocke des Wracks geborgen, die erst im Seerettungsmuseum Leba zu sehen war und dann im Depot des Danziger Meeresmuseums verschwand. Im Sommer 2006 kam die Glocke für kurze Zeit zurück nach Deutschland, als Leihgabe für die im Berliner Kronprinzenpalais eröffnete Ausstellung „Erzwungene Wege – Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts“, ein Projekt der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“. Die Geschichtsschau stieß in der damaligen polnischen Regierung unter Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski auf heftige Ablehnung, einige Leihgaben aus Polen wurden vorzeitig zurückgefordert, darunter auch die Glocke, die die polnische Küstenwache zur Verfügung gestellt hatte. Mit dem Regierungswechsel in Warschau ist auch dieses Kapitel Geschichte. Die Glocke kann mittlerweile in Danzig wieder besichtigt werden, im Meeresmuseum neben dem berühmten Krantor. Andreas Conrad

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