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Wohnwagen

© Wolff

Wedding: Grüße nach Guantanamo

Wie Berliner in einem Wohnwagen kostenlos telefonierten und so Teil eines Kunstprojektes wurden.

Eine winzige Kammer mit Blick auf die Parkbanktrinker des Weddinger Nettelbeckplatzes. Gustavo Saggara Medina horcht gespannt in den Hörer. Es tutet. Es tickt. Das Ticken ist von der Eieruhr, die neben dem Telefon abläuft. Dann eine Stimme, die spanisch spricht. Gustavo lacht: „Good Morning – como estas?“ Seine Mutter in Santiago de Cuba ist dran. Zehn Minuten hat Gustavo Zeit, mit ihr zu sprechen. Kostenlos.

Der Telefonkontakt ist Teil eines Kunstprojektes, einer Art Kommunikationsebenen-Feldversuch im globalen Dorf. An vier Tagen war Berlin dran, heute fährt der buntebemalte Wohnwagen mit zwei eingebauten Telefonzellen weiter nach Stuttgart. Jeder, der jemand anderen irgendwo auf der Welt anrufen möchte, kann es in dem Tele-Wohnwagen tun. Erwünscht ist, dass er davor in eine Kamera spricht und sein Anliegen kurz vorträgt. Danach hat ein Schriftsteller noch ein paar persönliche Fragen. Gestern war die Berliner Schriftstellerin Yadé Kara an der Reihe. Am Ende der telekommunikativen Kunstaktion steht nämlich ein Buch, das auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst vorgestellt werden soll.

Der Wohnwagen war schon in Hamburg und Köln. Begonnen hat die Aktion in Barcelona. Dort kam dem spanischen Künstler Josep-Maria Martin die Idee, verschiedene Kommunikationsformen an einem Ort zu verknüpfen und daraus eine weitere Form von Kommunikation entstehen zu lassen – das besagte Buch. Die Schriftsteller – darunter Feridun Zaimoglu – sollen sich von den Gesprächen mit den Telefonprobanden zu einer Textgattung ihrer Wahl inspirieren lassen.

Gustavo, der exaltierte Tanzlehrer mit den Rastazöpfen, spricht so laut ins Telefon, dass er danach nicht mehr erzählen muss, worum es ging. Erst telefoniert er mit seiner Mutter, danach mit einem Onkel, der gerne eine bestimmte Art von Unterwäsche aus Deutschland hätte. Leider ist das gewünschte Modell etwas altmodisch und in Berlin nicht zu haben, meint Gustavo. Sein Freund in der Nachbarzelle lässt sich von seiner Frau aus Guantanamo erzählen, wie es dem gemeinsamen Kind geht. Guantanamo! Ein Raunen geht durch den engen, schon etwas stickigen Wohnwagen. Gustavo kennt das schon. „Die Amerikaner haben nur ein winziges Stück von Guantanamo, das ist eine ganze Provinz.“

Kuba ist sehr gefragt unter den Anrufern. Telefonieren dorthin ist vergleichsweise teuer. Sonst kommen viele Araber und Türken sowie Europäer, seltener Amerikaner. Jeder Anruf wird mit einem Kreuz auf einer Weltkarte dokumentiert – so entsteht ein Schaubild, wie die Berliner global vernetzt sind. Vor allem Migranten sollen den Service nutzen, deshalb wurde der Container an Orten mit hohem Ausländeranteil aufgestellt. Aber es kommen auch Immigranten aus Westdeutschland, die sich mal wieder bei den Eltern melden möchten. Oder Urlaubsheimkehrer mit Sehnsucht nach einem Menschen auf Bali. Die Eieruhr tickt, dann ist das Glück abgelaufen. Thomas Loy

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