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pigott

© dpa

Weinkenner: Cabernet aus Indien

Stuart Pigott ist Berlins bekanntester Weinfachmann. Bei Verkostungen legt er Kollegen gern aufs Kreuz.

Stuart Pigott ist neben vielen anderen Eigenschaften auch noch ausgesprochen pragmatisch. Fragt man ihn, warum er als Weinautor seit mehr als 14 Jahren ausgerechnet in Berlin lebt und nicht beispielsweise in seiner Heimatstadt London, die ja auch eine Weinhandelsmetropole ist, dann sagt er ganz klar: „Da sind die Mieten so hoch, dass ich mir zwar eine Wohnung, aber keine Reisen mehr leisten könnte.“ Ohne Reisen aber kann der 47-Jährige seinen Beruf, wie er ihn versteht, nicht ausüben. Denn er analysiert und interpretiert Weine stets von der Person ihrer Erzeuger her; von der sturen Benotung und stereotypen Beschreibung, wie sie immer noch der Normalfall in seiner Branche ist, hat er sich längst verabschiedet.

Pigott steht mit seiner ganzen Person dafür, dass Wein Genuss und Spaß bedeutet. Wenn es ihm gelingt, eine Phalanx von Experten damit aufs Kreuz zu legen, dass er sie zu einer Blindverkostung großer Jahrgänge von Chateau Latour einlädt und dann ihre Begeisterung über einen heimlich eingeschmuggelten Cabernet aus Indien protokolliert, dann hat er sein Ziel erreicht – zu beweisen, dass der subjektive Weingeschmack höchst wenig mit Preis und Ruhm zu tun hat. „Wenn ich einen Wein auf die Schnelle im dunklen Keller verkoste“ sagt er, „dann schmeckt er anders, als wenn ich ihn mit Freunden auf der Terrasse trinke".

Der radikal subjektive Blick auf das Objekt ist von den Journalisten Hunter Thompson und Tom Wolfe entlehnt und heißt folglich „Gonzo-Weinjournalismus“. Dass Pigott den Begriff dennoch mit einem Hauch Ironie verwendet, liegt wohl daran, dass ihm durchaus daran liegt, als seriös zu gelten, auch wenn er die wunderlichen Westwood-Klamotten weiter mit Inbrunst trägt und keiner noch so schrägen Performance abgeneigt ist. Neulich auf der Düsseldorfer Messe „Prowein“ ist er als Miet-Kritiker aufgetreten und hat den Ausstellern Schnellbewertungen zum Stückpreis von 20 Euro angeboten – nicht, um seine Reisekasse aufzubessern, sondern um mit dem Geld ein Anti-Aids-Projekt in Kapstadt zu unterstützen, für das er sich schon länger immer wieder einsetzt.

Als Pigott Ende 1993 zusammen mit seiner Frau Ursula Heinzelmann aus Bernkastel eher zufällig nach Berlin kam, galt er als talentierter junger Nachwuchsschreiber in einem Land, das sich für Wein nicht wirklich interessierte. Sein Lebenslauf war bis zu diesem Zeitpunkt eher uneindeutig, denn in seiner Heimat waren die entscheidenden kulturellen Impulse an ihm vorübergegangen. „Ich war zu feige, ein Punk zu werden“, erinnert er sich, „mit der Schauspielerei war es ähnlich“. 1979 nahm er ein Kunststudium auf, scheiterte, jobbte als „Weinkellner mit null Wissen“ im Restaurant der Tate Gallery, begann ein Malerei-Studium und fing an, über Wein zu schreiben. Lieblingsthema: deutscher Wein.

Es bleibt eine theoretische Frage, ob er mit seinem provozierenden ersten deutschsprachigen Buch über die deutschen Spitzenwinzer 1994 den entscheidenden Impuls gegeben hat oder nur auf einer latent vorhandenen Welle gesurft war – jedenfalls begann Mitte der 90er Jahre wie auf Bestellung das deutsche Weinwunder, das unter anderem in eine Vielzahl von Publikationen mündete. Pigott, zunächst ganz überwiegend als Spezialist für den Riesling geschätzt, erweiterte sein Geschäftsfeld langsam, bereiste die großen Weinländer in Übersee, entwickelte den alljährlich neu aufgelegten „Kleinen genialen Weinführer“ und entdeckte schließlich den Reiz des Unbekannten, der in das Buch „Planet Wein“ mündete.

Wer ihn zum Verkosten besucht, der muss seit einiger Zeit mit dem Äußersten rechnen, mit Chenin blanc aus Thailand, Riesling aus Minnesota und eben auch Cabernet aus Indien. Pigott kennt die Erzeuger persönlich, und er legt Wert darauf, dass er keine untrinkbaren Exoten anschleppt, sondern Weine, die sich blind gegen europäische Klassiker mit Anstand behaupten können. Die Koffer für eine erneute Asienreise sind schon gepackt – Voraussetzung für den zweiten Teil von „Planet Wein“. Dann ist die Welt abgehakt, Pigott wird sich neu erfinden, zunächst zwei Semester Weinbau in Geisenheim studieren und dann ein Jahr lang im badischen Taubertal selbst Wein machen, bescheidenen Müller-Thurgau. Und darüber schreiben, versteht sich. Erster Wohnsitz aber bleibt Berlin-Mitte. Und vermutlich wird auch der größte Teil seines Eigenbauweins in der Stadt getrunken werden. Bernd Matthies

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