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Berlin: Start ohne Chaos – die Pessimisten wurden widerlegt

Grundschulreform besteht erste Bewährungsprobe. Probleme gibt es noch bei der Nachmittagsbetreuung

Die Zuckertüten sind ausgepackt, heute ist der erste Schultag für Berlins 41000 Erstklässler – und damit eine weitere Bewährungsprobe für die Grundschulen. Noch immer wissen sie nicht genau, wie viele Kinder am frühen Morgen ab 6 Uhr oder nach Unterrichtsschluss bis 18 Uhr eine Betreuung beanspruchen, wie viele Mittagessen wollen, ob die Erzieher ausreichen und ob alle Umbauten so schnell vorangehen, wie die Bauämter versprochen haben.

Eines steht bislang fest: Das befürchtete Chaos nach dem Ferienende ist bisher ausgeblieben. Sowohl der Grundschulverband als auch die Bildungsgewerkschaft GEW melden – bis auf wenige Ausnahmen – keine dramatischen Pannen. Allerdings zeichnen sich grundsätzliche Probleme ab wegen des Nebeneinanders von kostenlosen Ganztagsschulen und Schulen mit kostenpflichtiger Nachmittagsbetreuung.

Dieses Nebeneinander führt jetzt zu einer kuriosen Situation: Eltern in den Schulen mit kostenloser Betreuung bis 16 Uhr („gebundene Ganztagsschulen“) werden finanziell unter Umständen mehr belastet als Eltern, die ihr Kind in Halbtagsschulen mit angeschlossener kostenpflichtiger Hortbetreuung („offener Ganztagsbetrieb“) haben.

Der Grund dafür liegt beim Mittagessen: In den „gebundenen“ Schulen mit Pflichtbesuch bis 16 Uhr müssen die Eltern mit den Caterern private Verträge abschließen und die vollständigen Kosten von etwa zwei Euro pro Essen tragen; das macht rund 40 Euro im Monat. Anders in den Schulen mit freiwilliger Hortbetreuung: Hier zahlt das Land einen Essenszuschuss. Die Eltern entrichten nur eine Pauschale von rund einem Euro pro Essen, insgesamt 23 Euro pro Monat. Diese Pauschale wird zusammen mit dem Hortbeitrag gezahlt. Wenn die Eltern Geringverdiener sind, kommt für die Betreuung bis 16 Uhr nur ein geringer Beitrag von rund zehn Euro pro Monat hinzu. Unterm Strich heißt das: Sie zahlen im Monat für Essen und Betreuung zusammen rund 33 Euro und damit sieben Euro weniger als die Eltern in den gebundenen Schulen.

SPD-Jugendpolitiker und Haushälter Karl-Heinz Nolte gibt zu, dass hier ein „Systemfehler“ steckt. Eine Lösung könnte darin bestehen, dass das Land auch das Essen in den gebundenen Schulen bezuschusst. Diese Zusatzkosten werden aber gescheut. Die andere Lösung wäre, dass alle Eltern für die realen Kosten des Essens aufkommen. Dies würde auch die öffentlichen Haushalte entlasten und gilt als Fernziel. Bislang will man es aber den Eltern nicht zumuten.

Der Senat hat nicht nur Angst vor Protesten. Es wird auch befürchtet, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr in den Hort schicken, wenn die Kosten steigen oder sie zumindest vom Essen abmelden, wenn es zwei Euro pro Mahlzeit kostet.

Wie begründet diese Befürchtung vor allem in sozial schwachen Regionen ist, zeigen die Erfahrungen in den wenigen gebundenen Ganztagsschulen, die schon länger existieren. „Bei uns haben etwa zehn Prozent der Eltern ihre Kinder vom warmen Mittagessen abgemeldet“, berichtet etwa Mechthild Noblé, Leiterin der Schöneberger Teltow-Schule. Dies bedeutet, dass diese Kinder bis 16 Uhr auf mitgebrachte Brote oder Süßigkeiten angewiesen sind und mit ansehen müssen, wie die Mitschüler zum Mittagessen in die Mensa gehen.

Um dies wenigstens an den Schulen mit freiwilligem Hortbetrieb zu vermeiden, hat die Bildungsverwaltung darauf bestanden, dass es dort beim pauschal bezuschussten preiswerten Essen bleibt. Für Schulleiter bedeutet dies, dass sie jeden Morgen nachzählen lassen müssen, wie viele Kinder krank sind, und die Angaben an den Caterer schicken, damit der Bezirk nicht unnötig viele Essen bezahlen muss.

„Wenn ich mehr Aufgaben übernehmen soll, will ich auch entsprechend Personal dafür haben“, fordert Ulf Redwanz, Leiter der Lichtenrader Annedore-Leber-Grundschule. Wie andere Grundschulleiter auch ist er es leid, dass immer neue Aufgaben gestellt werden, ohne dass man ihnen entsprechende finanzielle oder personelle Hilfen gibt.

Diese Stimmungslage ist verbreitet im Berliner Grundschulverband. Er hat in der vergangenen Woche einen Fragebogen an seine Mitglieder verteilt, in dem es um die aktuelle Reform geht. Die Antworten der Schulleiter besagen, dass die Umsetzung der Hortreform kritisch gesehen wird. Vor allem warnen die Leiter davor, dass die Schulhorte räumlich und personell schlechter ausgestattet seien als die Horte der Kindertagesstätten. Eine Schulleiterin berichtet zudem, sie fühle sich „zermalmt zwischen Senatsverwaltung und Bezirksamt“. Der Verbandsvorsitzende Peter Heyer will jetzt dafür sorgen, dass es in den Grundschulen regelmäßig eine Bestandsaufnahme gibt, um einen Überblick darüber zu bekommen, wie die Umsetzung der Hortverlagerung, der vorgezogenen Schulpflicht und all der anderen Reformen klappt.

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