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Sophia, 26, hat den Straßenkinderkongress mit vorbereitet.

© B. Brühl

Straßenkinder in Berlin: „Viel geht für Drogen drauf“

Kein Zuhause, kein Hartz-IV, keine Wertschätzung: Über 1000 Straßenkinder gibt es in Berlin, am Wochenende gibt es einen Kongress in Berlin-Buch. Eine Betroffene berichtet von ihren Erfahrungen.

Sophia, Sie haben den Straßenkinder-Kongress mit vorbereitet, der am Wochenende in Berlin stattfindet. Leben Sie selbst auch auf der Straße?

Direkt auf der Straße habe ich selten übernachtet, aber seit ich 19 bin, war ich mehr oder weniger wohnunglos. Ich habe meistens bei verschiedenen Bekannten übernachtet. Die Notplätze, die es für Obdachlose gibt, sind oft nicht besonders gut auf Jugendliche eingestellt. Zwischendurch war ich in einem Wohnprojekt. Jetzt mache ich ein Praktikum bei einem sozialen Träger in Brandenburg. Wenn ich in Berlin bin, schlafe ich mal bei meiner Mutter und mal bei meiner Schwester.

Warum sind Sie auf die Straße gegangen?

Es gab so viele Streitigkeiten zu Hause. Als es einmal – nach meiner damaligen Empfindung – richtig heftig war, bin ich gegangen. Ich war zu der Zeit in einer Ausbildung, kam dann mit Drogen in Berührung. Die Ausbildung konnte ich nicht abschließen. Auf der Straße war ich meistens bei den Punks.

Haben Sie kein Hartz IV bekommen?

Nein, das ist ja ein großes Problem für viele Straßenkinder. Die Jugendhilfe greift oft nur bis 18 oder 21 Jahren, Hartz IV wird aber erst für Leute ab 25 gezahlt. Davor sagt das Amt, dass man zu Hause wohnen muss, bei der Familie als Bedarfsgemeinschaft.

Wie sah ein typischer Tag auf der Straße für Sie aus?

Ich bin früh aufgestanden, wo auch immer ich gerade übernachtet habe. Dann fängt man an zu schnorren, fragt Passanten nach Zigaretten oder Geld. Viel geht für Alkohol oder Drogen drauf. Dann sucht man vielleicht einen der Fressbusse. Das sind mobile Essenausgaben der Jugendhilfe, die an zentralen Plätzen auftauchen. Und dann hält man nach dem nächsten Schlafplatz Ausschau.

Wie verbreitet sind Drogen und Alkohol bei Straßenkindern?

Fast alle haben damit Probleme. Ich kenne nur ganz wenige, die gar nichts nehmen. Je jünger die Leute sind, desto schneller rutschen sie in harte Drogen ab. Ich selbst habe auch alles durch, bis auf Crystal Meth. Inzwischen nehme ich aber keine Drogen mehr.

Was erwarten Sie von dem Kongress?

Ich freue mich darauf, die anderen Jugendlichen wieder zu treffen, die ich schon von der Vorbereitung kenne. Wir wollen Ideen und Forderungen entwickeln, wie man unsere Situation oder die Hilfsangebote verbessern kann.

Was hätte Ihnen damals geholfen?

Mir hätte es geholfen, wenn die Hilfe individueller auf mich zugeschnitten gewesen wäre. Jede Stelle und Behörde hatte ihre Pläne und Vorschriften, wie weit die Hilfe geht. In Dänemark bekommt ein Jugendlicher einen festen Sozialarbeiter zugeteilt, der einen so lange begleitet, bis man Lösungen gefunden hat, und zwar egal, wie lange es dauert. Und es wäre toll, wenn man von der Gesellschaft nicht so abgestempelt würde. Es hilft vielmehr, wenn Leute einem etwas zutrauen.

Mehr als 1000 Kinder leben in Berlin auf der Straße. Lesen Sie mehr unter diesem Tagesspiegel-Link.

Das Gespräch führte Sylvia Vogt

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