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Berlin: Streiken – aber gebremst

Im Betriebsratsbüro klingeln die Telefone. Ständig.

Im Betriebsratsbüro klingeln die Telefone. Ständig. Immer und immer wieder. Die Betriebsratsmitglieder sind in diesen Tagen begehrte Ansprechpartner. Einer von ihnen ist Hans Köbrich. Seit 1987 vertritt der gelernte Maschinenschlosser die Interessen der Beschäftigten beim BMW-Motorradwerk in Spandau. Jetzt muss er seine Kollegen davon überzeugen, dass es sich lohnt, ab der nächsten Woche in den Streik zu gehen.

Gestreikt wird schließlich nicht alle Tage. Schon gar nicht in Berlin. Um genau zu sein, wurde hier schon ganz lange nicht mehr gestreikt in der Metall- und Elektroindustrie. Seit rund 70, 80 Jahren nicht mehr. So genau weiß das keiner, wann es hier den letzten Arbeitskampf gab. In den Jahren des kalten Kriegs war die Stadt mit Rücksicht auf ihre besondere Situation nie Aktionsgebiet der IG Metall, und in der Nachwendezeit hat man es 1993 lediglich einmal zu einer Urabstimmung im Tarifgebiet Ost gebracht. Die Beschäftigten waren schon auf Arbeitskampf eingeschworen, das Votum für Arbeitsniederlegung war eindeutig. Aber der Streik hatte noch nicht begonnen, da lag eine Einigung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft vor. War also wieder nichts.

Mit einer vorzeitigen Einigung ist in dieser Tarifauseinandersetzung nicht zu rechnen. Jetzt wird es ernst für die Metaller in der Region. Also schieben die Betriebsräte und Vertrauensleute der Gewerkschaften Überstunden. Denn ein Streik stellt manche logistische Herausforderung. Das Pinseln von plakativen Transparenten ist noch die geringste Aufgabe. Die langen Stiele, an denen die Textilplanen befestigt werden und die bislang nur bei Warnstreiks zum Einsatz kamen, warten schon hinter der Bürotür auf ihren Einsatz beim ersten richtigen Arbeitskampf.

Dass Berlin/Brandenburg neben Baden-Württemberg zum Streikgebiet der Gewerkschaft erklärt wurde, hat vor allem politische Gründe, sagt IG-Metaller Hans Köbrich. Im bundesweiten Vergleich spielt die hiesige, seit Jahren von Werksschließungen und Arbeitsplatzabbau gebeutelte Metallbranche keine herausragende Rolle. Aber mit der Region hat man neben dem West-Tarifgebiet auch den Osten erfasst, was gewerkschaftspolitisch wichtig ist. Zudem ist ein Arbeitskampf in der Hauptstadt, am Sitz der Regierung also, auch von nicht unbeträchtlichem symbolischen Wert, der den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen soll.

Das Spandauer BMW-Werk ist mit seinen 2750 Beschäftigten noch einer der größten Metall-Betriebe in der Stadt und deswegen für die Gewerkschaft besonders wichtig. Zwar sind nicht einmal 50 Prozent der Belegschaft in der IG Metall organisiert, dennoch haben Köbrich und der Betriebsratsvorsitzende Volker Schmidt keine Sorge, dass der Aufruf zum Arbeitskampf nicht angemessen befolgt wird. Der betrieblichen Streikleitung gehören zwölf Leute an, zwei davon stellt die Gewerkschaft. Darüber hinaus sind rund 100 Metaller als Streikposten berufen worden, die vor den Werkstoren stehen werden. Streikbrecher sind natürlich immer noch verpönt; sollten Gewerkschaftsmitglieder dennoch zur Arbeit gehen, droht ihnen der sofortige Ausschluss aus der IG Metall, teilt das Streik-Info mit. „Auch die Nicht-Organisierten werden streiken“, ist sich Schmidt sicher.

An welchem Tag die Arbeit bei BMW ruhen wird, verraten die Gewerkschafter noch nicht. Organisatorisch ist alles vorbereitet. Das Zelt ist bestellt, in denen die Streikausweise ausgestellt werden. Ein Kulturprogramm ist angeleiert. Die Trillerpfeifen in IG-Metall-Rot, Basecaps und Plastikstreikhemden sind bei der Gewerkschaftszentrale angefordert worden. In den Rechtsfragen sind die Streikorganisatoren des Betriebs weitgehend firm. In den letzten Tagen bot die IG Metall in ihrer Bezirkszentrale ununterbrochen Streikschulungen an, in denen die wesentlichen Fragen, die sich beim Arbeitskampf ergeben, geklärt werden. Manche Kollegen seien verunsichert, weil die Werksleitung Briefe an die Beschäftigten geschrieben hat, dass sie auch bei Streik arbeiten können, sagt Vertrauensmann Köbrich.

Nicht ganz einfach sei es, den Kollegen die Arbeitskampf-Taktik, den so genannten Flexi-Streik, zu vermitteln. Denn gestreikt wird in einem Betrieb immer nur befristet für einen Tag, das eventuell aber mehrmals. Das Streiken mit „gebremstem Schaum“, wie Köbrich es formuliert, soll die so genannten kalten Aussperrungen verhindern. Von den Streikenden erfordert das Disziplin, kaum hat man die Arbeit niedergelegt, muss man sie schon wieder aufnehmen. Viele Kollegen hätten sich einen Arbeitskampf anders vorgestellt. Nämlich klassisch: „Man macht einen Betrieb dicht, bis man erreicht hat, was man will.“ Sigrid Kneist

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