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Tüten voll? Eine Liste früh beginnen und dann systematisch abarbeiten hilft. Oder mal was selbst basteln.

© Ralf Hirschberger/dpa

Stress an Weihnachten: „Wir tappen jedes Jahr in die Stressfalle“

Einkaufen, Baum schmücken, Familie: Stressforscher Mazda Adli erklärt, warum man weihnachtliche Harmonie nicht erzwingen kann.

Von Ronja Ringelstein

Herr Adli, Weihnachten sollte eigentlich harmonisch und besinnlich sein. Für viele beginnt dieser Tage aber die stressigste Zeit des Jahres. Woran liegt das?

In vielen Menschen steckt ein kleiner Perfektionist – Weihnachten kommt diese Seite ganz besonders heraus. Deshalb tapsen wir jedes Jahr in die Stressfalle. Viele Menschen zermartern sich den Kopf über Weihnachtsmenü, Dekorationen und Tagesabläufe. All das, was zu den guten Regeln einer entspannten Vorbereitung gehört, vergessen wir plötzlich.

Was verursacht den besonderen Stress?
Bei vielen ist das gerade ein großes Thema: „Wie kann ich meinen eigenen Erwartungen oder denen meiner Angehörigen gerecht werden?“ Stress entsteht hier durch zwei Hauptfaktoren: Auf der einen Seite stehen die hohen Erwartungen, auf der anderen Seite merkt man, dass man eben nicht alles kontrollieren oder beeinflussen kann. Der andere Stresstreiber ist dann die Enttäuschung, die entsteht, wenn man den eigenen Anspruch nicht erfüllt oder weniger Wertschätzung erhält, als man eigentlich erhofft hat.

 Mazda Adli, 46, ist Chefarzt der Fliedner-Klinik Berlin und Stressforscher an der Charité. Zudem hat er ein interdisziplinäres Forum mit dem Titel „Stress and the City“ gegründet.
Mazda Adli, 46, ist Chefarzt der Fliedner-Klinik Berlin und Stressforscher an der Charité. Zudem hat er ein interdisziplinäres Forum mit dem Titel „Stress and the City“ gegründet.

© Doris Spiekermann-Klaas

… und dann trifft man die ganze Familie.
Ja, auch das kann stressen. Es werden einem dabei oft viele ungewohnte Verhaltensweisen abverlangt. Gerade wenn man normalerweise nicht ständig zusammen ist. Dann hat man vielleicht auch mit dem einen oder anderen noch ein Hühnchen zu rupfen – diesem Impuls sollte man aber auf keinen Fall nachgehen.

Wie kann man dem entgegensteuern?
Zunächst sollte man akzeptieren, dass die Advents- und Weihnachtszeit eine Zeit ist, die mehr Zeit und Kraft bindet. Und dann muss man auch nicht alles mitmachen. Ein Kurzurlaub in der Vorweihnachtszeit kann dazu beitragen, dass man ruhig und gelassen in der Weihnachtszeit ankommt. Außerdem wirksam gegen Vorweihnachtsstress sind Spaziergänge und Sport. Und wir brauchen gerade jetzt kleine „Zeitinseln“, in denen man genau das macht, was man möchte. Die Momente, an die wir uns später am liebsten erinnern, sind ja immer die ruhigen und stimmungsvollen, nicht die hektischen.

"Machen Sie sich Gedanken: Was war gut dieses Jahr?"

Wie bewahrt man sich denn die stimmungsvollen Momente?
Man kann sich überlegen, woran man sich in einem Monat zurückerinnern möchte und nimmt sich dafür Zeit. Das kann ein Konzertbesuch sein oder ein Spaziergang um den See. Die Zeit zwischen den Jahren ist unglaublich wichtig, um das, was im Jahr geschehen ist, zu verarbeiten. Das sollte man nutzen, ein paar Gedanken an das vergangene Jahr zu sortieren oder sie vielleicht auch aufzuschreiben: Was war gut an diesem Jahr, wofür bin ich dankbar? Was war mir wichtig? Und was wünsche ich mir vom neuen Jahr? Dafür brauchen wir diese Zeit.

Und wenn man auf den letzten Drücker noch Geschenke braucht…
Planen Sie Ihren Weihnachtseinkauf: Schreiben Sie sich eine Liste mit den Dingen, die Sie brauchen und gehen Sie gezielt los. Ich persönlich finde Selbstgemachtes toll – so reduziert man Shoppingstress auch.

Unterscheidet sich der Stress bei Frauen von dem bei Männern?
Ja. Frauen sind in der Regel stärker belastet als Männer. Sie sind meist die Pflichterfüller in der Weihnachtszeit. Auch in unserer emanzipierten Welt werden Plätzchen mehr von Frauen als von Männern gebacken. Geschenke werden häufiger von Frauen verpackt, weil alle denken, sie könnten es besser. Aber für beide gilt, dass sie mit Erwartungen konfrontiert werden, die sie nicht gewohnt sind, zu erfüllen.

Haben Kinder auch Stress?
Wenn Eltern unter Stress stehen, überträgt sich das auf die Kinder. Auch, wenn die Eltern sich anders verhalten als sonst, kann das die Kinder verunsichern. Manche werden gereizt, andere werden eher ängstlich, wenn die Eltern nicht die sonst vertrauten Verhaltensweisen zeigen.

Kinder drehen Weihnachten manchmal richtig auf, was hilft dagegen?
Gemeinsames Singen hat einen enormen Effekt. Aber auch das gemeinsame Lesen von Weihnachtsgeschichten beruhigt und steigert die Vorfreude auf das Fest. An die frische Luft zu gehen, entspannt übrigens nicht nur Kinder.

Wie wird es denn trotzdem harmonisch?
„Es muss Harmonie herrschen“, ein abstraktes Kommando – aber sie lässt sich nicht herbeikommandieren. Zu harmonischer Stimmung trägt zum Beispiel Humor, Geselligkeit bei. Andere zum Lachen zu bringen, ist viel einfacher als sich „Harmonie“ zum Ziel zu setzen. Ganz wichtig ist, große Problemlösungen auf eine Zeit nach Weihnachten zu verschieben.

Das Gespräch führte Ronja Ringelstein.

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