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Berlin: Studiengebühren: Unser Freund, der Langzeitstudent (Kommentar)

Morgen findet in Berlin eine große Demonstration für die Erhaltung des Langzeitstudenten statt. Getarnt ist die Veranstaltung als Protest gegen die Einführung von Studiengebühren.

Morgen findet in Berlin eine große Demonstration für die Erhaltung des Langzeitstudenten statt. Getarnt ist die Veranstaltung als Protest gegen die Einführung von Studiengebühren. Doch in erster Linie beklagen die Demonstranten - mehrere tausend werden erwartet - den Untergang einer spezifischen biographischen Kultur. Denn der Langzeitstudent ist ein deutsches Unikum. Wie kaum ein anderer Typ symbolisiert er das Ideal der Selbstverwirklichung.

Der Muster-Langzeitstudent ist Mitte dreißig, hat mal in dieses Fach hineingeschnuppert, sich mal für jenes interessiert. Er hat also, wie es unter den Selbstverwirklichern heißt, mit Lebensentwürfen jongliert. Außerdem ist er viel gereist und hat das alles sowohl durch BaföG-Gelder finanziert als auch durch eine Menge verschiedener Jobs. Nebenbei hat er den Steuer zahlenden Teil der Bevölkerung einen beträchtlichen Batzen Geld gekostet. Das allerdings begreift der Muster-Langzeitstudent nicht als eine Investition in ihn, sondern als sein gutes Recht, aus dem keinerlei Verpflichtung folgt. Er nennt das Bildungsfreiheit. Aber selbst, wenn er es anders sehen wollte: Auf dem Arbeitsmarkt hat er ohnehin kaum Chancen.

Dieses deutsche Unikum ist jetzt akut bedroht. Vor zwölf Tagen beschloss die Kultusministerkonferenz, dass Studenten künftig zur Kasse gebeten werden können, wenn sie die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester überschreiten. Natürlich werden dabei ihre Lebensverhältnisse und Studienbedingungen berücksichtigt. Und so teuer wie in England oder den USA ist es nicht. Maximal 1000 Mark pro Semester. Baden-Württemberg praktiziert diese Regelung bereits seit einem Jahr. Die Zahl der Langzeitstudenten ist daraufhin um mehr als 35 Prozent gesunken, während sie bundesweit um ein Prozent stieg. In Berlin ist nur die CDU für die Abschaffung des Langzeitstudenten, alle anderen Parteien setzen weiter auf die möglichst ungehemmte Selbstverwirklichung.

Warum auch nicht? Wo sonst lassen sich fließend Altgriechisch sprechende Taxifahrer finden? Wo sonst ist das Wachpersonal in Museen derart kunstgeschichtlich bewandert wie bei uns? Und die richtige, die hoch bezahlte Arbeit? Die können doch andere tun. Wozu holen wir all die Inder und Bulgaren? Wenn die sich partout nicht selbst verwirklichen wollen, sollen sie wenigstens genügend Steuern bezahlen, dass unsere Jugend mit verschiedenen Lebensentwürfen jonglieren kann. Ein deutsches Unikum, dieser Langzeitstudent. Behüten wir ihn, bevor er merkt, wie ernst es um ihn steht.

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