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Berlin: Stütze auf Knopfdruck

Prozess gegen Sozialamtsmitarbeiter – Freispruch

Im Sozialamt Friedrichshain-Kreuzberg verschwanden vor zwei Jahren knapp 27000 Euro. Die hatte der Geldautomat im Amt ausgespuckt. Angeblich waren es Gelder, die neun verschiedenen Sozialhilfeempfängern gewährt wurden. Sie aber wussten gar nichts von den Geldern.

Ein Mitarbeiter des Amtes geriet schließlich in den Verdacht, sich sechs Monate lang stetig illegal selbst bedient zu haben. Im Prozess gegen den Oberinspektor konnte sich das Gericht gestern nur wundern. Schweigend hörte der langjährige Beamte dem Staatsanwalt zu. Es ging um Untreue. In insgesamt 22 Fällen habe der Angeklagte das damals im Bezirksamt verwendete Scheckkartensystem zu seinen Gunsten manipuliert und am Geldautomaten im Haus insgesamt 26 843,99 Euro kassiert, hieß es. Zur Verschleierung der Auszahlungen habe er Daten von Sozialhilfeempfängern aus seinem Bereich genutzt, so lautete der Vorwurf. Bei einer Revision waren im Herbst 2003 Unregelmäßigkeiten in seinem Bereich aufgefallen. Unterlagen zu den Auszahlungen wurden nicht gefunden. Als man auf die Idee kam, die Videoüberwachung auszuwerten, war es zu spät. „Die Videobänder wurden nach sechs bis acht Wochen aus Datenschutzgründen gelöscht“, sagte der damalige Amtsleiter. Das Auszahlungs-System lief über Plastikkarten. Wünschte ein Sozialhilfeempfänger eine Barauszahlung, sprach er bei seinem zuständigen Mitarbeiter vor. Der loggte sich unter seinem persönlichen Passwort ins System ein, nahm dann eine der Karten und gab die darauf gespeicherte Nummer in den Computer ein. Die Daten – Betrag, Person, und Kartennummer – wurden online zum Geldautomaten geschickt, der Vorgang gleichzeitig in der Akte vermerkt. Dann bekam der Hilfeempfänger die Karte, gab am Automaten sein Geburtsdatum als PIN ein und erhielt die Summe.

Der in Verdacht geratene Oberinspektor beteuerte damals, er könne sich das Verschwinden des Geldes nicht erklären. Er habe sein Passwort keinem anderen Mitarbeiter verraten. Sein Ex-Chef musste nun einräumen, dass es schon ein Risiko war, wenn ein Mitarbeiter sich eingeloggt hatte, dann aber mal schnell das Zimmer verließ. Damals sei die Stimmung im Amt „durchwachsen“ gewesen. „Wegen Stellenkürzungen, weil Hartz IV im Raum stand und niemand wusste, was wird.“ Doch war es der Oberinspektor, der kriminell vorsorgen wollte? Der Angeklagte gehörte zu einer Gruppe von sechs bis acht Mitarbeitern, insgesamt waren im großen Fachbereich „Auszahlung“ rund 130 Leute tätig. „Sämtliche Fälle waren manipuliert“, sagte der Staatsanwalt im Plädoyer. „Aber hier sind so viele Löcher im Netz, dass jeder andere Mitarbeiter Zugriff hätte nehmen können“, räumte er ein und beantragte Freispruch.

Das Gericht formulierte es noch drastischer: „Wir haben gehört, wie leicht es war, an Karten zu kommen – die schwirrten da rum.“ Wegen zu vieler Zweifel wurde der Oberinspektor, der heute in einem anderen Bereich des Amtes tätig ist, freigesprochen. Die knapp 27000 Euro bleiben verschwunden. Obendrein muss das Land die Prozesskosten tragen. Einziger Trost: Das System soll jetzt viel sicherer sein.

Kerstin Gehrke

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