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Berlin: Suche nach dem letzten Postamt

Auch wenn Siebeck dafür ein Batman-Kostüm anziehen muss

Als ich aus dem Badezimmer komme, springt sie gerade auf die Sessellehne, lässt sich auf den Boden fallen, rast zum Fenster, rutscht bremsend auf dem Parkett einen halben Meter und rennt wieder zum Sessel. Anlauf und hopp!, oben ist sie. Aber nur um gleich wieder runterzuspringen, zum Fenster zu rasen undsoweiter. Die Katze ist wahnsinnig geworden. Bevor ich mich einmische, ziehe ich den Gürtel des Bademantels stramm. Währenddessen rennt sie weiter zum Fenster, Kehrtwendung, Spurt zum Sessel und wieder zurück. „Hoffmann!!!“ brülle ich und hoffe, dass es ernüchternd wirkt, so wie es auf eine hysterische Frau ernüchternd wirkt, wenn sie von Humphrey Bogart geohrfeigt wird. Und dann, da sie ihre Raserei nicht unterbricht, noch einmal: „Hoffmann!!!“ Sie lässt sich platt auf den Boden fallen und sieht zu mir herüber.

„Was soll das? Hast du die Tollwut?“ Erstmal heftig gähnen, das überbrückt ihre Verlegenheit. „Ich muss mir Bewegung verschaffen“, sagt sie schließlich und leckt an ihrer linken Pfote herum. „Kein Garten, wo es was zu jagen gibt, kein Dach, auf dem ich klettern kann...ich werde immer dicker.“ Ich habe auch den Eindruck, dass diese Katze fett wird. „Weniger essen ist ein wirksames Mittel gegen Übergewicht“, zitiere ich aus meinem Erfahrungsschatz und ziehe den Gürtel des Bademantels wieder straff. „Weniger als ich kann keine Katze essen, wenn sie für den Überlebenskampf fit sein will“, maunzt sie missmutig. „Wo spielt dein Überlebenskampf sich ab? Auf der Sessellehne?“

Sie macht eine müde Bewegung mit der Pfote: „Ihr joggt doch auch wie die Flöhe und macht dabei die Hunde verrückt. Dieser Herr Fischer fliegt extra nach Amerika, um in Manhattan zu joggen.“ – „Wir nennen es Marathon“, sage ich. „Günter Herburger wird wohl auch dabei sein.“ – „Wer ist denn das?“ – „Ein berühmter Läufer, der Erfinder der Urschlammsuppe und ein exzentrischer Briefschreiber.“ – „Wieso exzentrisch?“ – „Er schreibt seine Briefe mit einer Reiseschreibmaschine auf Postkarten.“ Frau Hoffmann überlegt oder fällt in einen Kurzschlaf. Das ist bei ihr so wenig zu unterscheiden wie bei Frau Merkel. Dann: „Schreibst du nicht mit einer Reiseschreibmaschine?“ – „Niemand schreibt mehr mit einer Reiseschreibmaschine, seit sie diese Dinger erfunden haben“. (Handbewegung zum Laptop) – „Womit schreibst du denn deine Postkarten?“ – „Ich schreibe keine Postkarten.“ – „Du willst wohl nicht exzentrisch sein?“ – „Nein, es ist nur so, dass niemand mehr weiß, was für Briefmarken man heute auf Postkarten kleben muss, und wo noch ein offenes Postamt ist.“ – „Warum sind die Postämter denn geschlossen?“ – „Nicht geschlossen; es gibt sie nicht mehr!“ – „Dann sollten sie neue bauen. Das Schloss hat auch nicht mehr existiert und wird neu gebaut.“ Frau Hoffmann ist wirklich gut informiert. „Warum joggst du eigentlich nie?“, ruft sie mir nach, als ich den rutschenden Gürtel straffe und zum Kleiderschrank gehe. Ich wähle das Batman-Kostüm, schwinge mich auf die Fensterbank und sage: „Weil fliegen schöner ist!“ Dann stoße ich mich ab und nehme Kurs auf den Palast der Republik. Vielleicht beherbergt er ja ein letztes Postamt.

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