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Update

Jahrestag der Räumung: Suppe, Clown und Trommelkonzert in der Liebigstraße

Am Jahrestag der Räumung der Liebigstraße 14 ging am Abend eine Mahnwache friedlich zu Ende. Die Polizei verweilte auch in der Nacht auf Habacht-Stellung, es blieb aber ruhig.

Ein Autonomer mit aufgemalter Clownsfratze und piepsender Stimme geleitet Menschen über die Liebigstraße. Daneben wird stundenlang getrommelt, auf Bierkisten und Pfannen, bei eisigen Minusgraden. Zwei Geigenspieler sticheln gegen die Polizei, die Beamten nehmen es gelassen. Sie sind mit mehr als zehn Mannschaftswagen präsent. So spektakulär das besetzte Haus in der Liebigstraße 14 vor einem Jahr mit 2500 Polizisten, Wasserwerfern und Spezialfahrzeugen geräumt worden war, so ruhig ist es am Donnerstag, am Jahrestag der Räumung, bei der Mahnwache - die Polizeiangaben zufolge um 18.08 Uhr friedlich zu Ende geht. Rund 30 Menschen hatten sich am Nachmittag vor einer Ansammlung von Wohnwagen versammelt, um in der winterlichen Kälte einem Konzert zu lauschen. Auch in der Galiläakirche sollte es ein Konzert geben.

Die „Liebig14“ ist von der Polizei abgeriegelt, aber am Nachmittag kommen rund 50 Autonome und Unterstützer aus der linken Szene zum Wohnprojekt X-B-Liebig, gegenüber in der Liebigstraße 34. Sie trinken Bier, essen heiße Gemüsesuppe, protestieren gegen die damalige Räumung und Gentrifizierung. Auf dem Trottoir hat jemand Blumen abgelegt. Auf einem Schild steht „Zentrum des Hasses“. Aufgestellte Grabsteine und einen umgebauten Anhänger, auf dem ein Motor Metall gegeneinander schlagen lässt, verbannt die Polizei. „Nicht genehmigte Aufbauten.“ Schon um acht Uhr morgens schlägt auf den Nachbarbalkonen ein halbes Dutzend Autonome unaufhörlich auf Pfannen und Töpfe ein, die eigentliche Mahnwache beginnt um zehn Uhr. Aus einer Wohnung dringt laut Chopins Trauermarsch. Vor einem Jahr lief „Spiel mir das Lied vom Tod“.

Man müsse daran erinnern, dass damals 25 Menschen wohnungslos geworden seien, und dass die Liebig14 „ein besonders krasser Fall der Verdrängung“ gewesen sei, sagt Sven Gramstadt, 34. Er hat die Mahnwache angemeldet, vor der Räumung moderierte er die Runden Tische zwischen Politik und Liebig14-Bewohnern. Dass die Räumung illegal gewesen sei, sei „ein Skandal. Das gibt Unmut.“

Die Solidarität im Kiez scheint groß. „Die Gier ist größer als der Verstand. Wir haben Angst, dass die Gegend ein zweiter Kollwitzplatz wird“, sagt Klaus, 59. Das hier, sagt er und guckt auf den Clown, sei auch eine Form des Widerstands, auch wenn es naiv wirke. Viele Passanten sagen ähnliche Sätze. Ein Mann ist verdutzt, er kannte die Problematik gar nicht. So sehr er die Protestler verstehe, müssten die sich auch an gesellschaftliche Regeln halten, sagt er. Tanja B. kommt extra aus Zehlendorf, um zu fotografieren. „Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt in der Stadt. In der linken Szene brodelt es, da haben sich Aggressionen angesammelt.“ Der Clown schwankt immer noch über die Kreuzung. Passanten versuchen ihn zu ignorieren, doch er begleitet sie einfach. Die Polizei stufte die Situation am Abend als „sehr ruhig“ ein. Die Beamten seien „in ausreichender Anzahl“ präsent. Man verfolge ähnlich wie beim 1. Mai eine „deeskalierende“ Strategie, sagt ein Ermittler. Dies beinhalte auch, dass die Kräfte sich nicht martialisch vor dem Haus aufbauen, sondern eher im Hintergrund bleiben, solange die Lage friedlich ist. Man gehe nicht davon aus, dass es zu Krawallen komme. Auch für Sonnabend, wenn die Szene zu einer „Zombieparade“ aufruft, sei nicht mit Ausschreitungen zu rechnen, sagt der Sprecher. Dennoch hatte ein Ermittler dem Tagesspiegel berichtet, dass man eher den Sonnabend im Auge behalte. „Da geht sicherlich was kaputt“, sagt Britta aus Lichtenberg, auch wenn das meist Unschuldige treffe. Aber es würde auch für Aufmerksamkeit für die Problematik sorgen. Am Donnerstagmittag sind die Beamten eher gepanzerte Verkehrspolizisten.

Im Eckcafé gegenüber kauft ein Polizist Kaffee und Zigaretten, ein Protestler geht auf Toilette. „Es sind ja mehr Polizisten hier als Leute von uns“, sagt ein Protestler. Wegen der Minusgrade? „Nö, vielleicht schlafen die noch.“ Für den späten Nachmittag und frühen Abend waren noch Konzerte auf dem Wagenplatz und in der Galiläakirche angekündigt. Dann kommt mit der Dunkelheit auch die Ungewissheit, ob der bisher friedliche Protest auch so weitergeht.

Ein Ermittler zeigte sich trotz der möglichen Ausschreitungen relativ gelassen: Bei nächtlichen Temperaturen von minus 12 Grad und um die minus acht Grad tagsüber „vergeht auch hartgesottenen Linksradikalen die Lust an der Randale“.

Die Polizei ist alarmiert und bereitet sich auf mögliche Gewalttaten vor. Details werden offiziell nicht genannt. „Die Polizei bewertet die Lage kontinuierlich und ist vorbereitet“, hieß es in der Behörde des Innensenators Frank Henkel (CDU). Ein Ermittler berichtete dem Tagesspiegel jedoch, dass sowohl Polizei als auch Staatsanwaltschaft nicht so sehr die heutige Mahnwache und deren Programm drumherum, sondern vielmehr die geplante „Zombieparade“ als potenziell gefährliche Veranstaltung bewerten.

Insbesondere auch vor dem Hintergrund des vergangenen Wochenendes, als es bereits einen „Vorgeschmack“ der linken Szene auf das bevorstehende Ereignis gab: Bei linker Randale krachte es am vergangenen Sonnabend zuerst nach einer Demonstration in Neukölln, später dann in Friedrichshain. Die rund 600 eingesetzten Beamten wurden mit Flaschen und Böllern beworfen, Fensterscheiben gingen zu Bruch. 35 gewalttätige Teilnehmer der rund 1000 Demonstranten waren vorübergehend festgenommen worden. In der Nacht gingen die Randale in Friedrichshain dann weiter: Mülltonnen im Hof des mittlerweile sanierten und wieder vermieteten Hauses in der Liebigstraße 14 brannten, Polizisten wurden mit Steinen und Eisenstangen attackiert: 48 verletzte Beamte und 38 zeitweilige Festnahmen war die Bilanz jener Nacht. Innensenator Henkel zeigte sich „entsetzt“ über die Gewalt der Linksextremen.

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