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Probefahrt am Zaun. Marielle Hennrich wohnt im Neuköllner Schillerkiez direkt am Flugfeld. Die 20-jährige Skaterin freut sich auf die ersten Runden über die Rollbahn.

© Mike Wolff

Tempelhofer Feld: Dem Wiesenglück so nah

In zwei Wochen wird mit dem Tempelhofer Feld der größte Stadtpark Europas eröffnet: Die Nachbarschaft im Neuköllner Schillerkiez bereitet sich auf die Zeitenwende vor.

Hinter dem Zaun an der Oderstraße steht noch ein Bagger, besitzergreifend ruht seine Schaufel im Sand des Tempelhofer Felds. Ab 8. Mai öffnet sich hier im Neuköllner Schillerkiez einer von fünf Eingängen auf die mit knapp vier Quadratkilometern Fläche größte innerstädtische Wiese Europas. Gut 18 Monate nach dem wehmütigen Abschied vom Flugbetrieb können die Berliner dann beim zweitägigen Fest, zu dem der Senat unter dem Motto „Bewegungsfreiheit“ einlädt, ihre innige Beziehung zum geschichtsträchtigen Ort der alliierten Luftbrücke neu beleben.

Vor dem Zaun steigt die Vorfreude mit jedem Tag, den die Starterlaubnis zur Erkundung der Volkswiese näherrückt. Jogger in blauen Profi-Trikots trainieren für die große Runde, ein Kreuzberger mit Stachelfrisur macht sich ein Bild von der Lage, immer wieder bilden sich kleine Grüppchen von Schaulustigen, die erwartungsvolle Blicke auf das Feld werfen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Areals, am S-Bahnhof Tempelhof, wird bereits an einem der drei ständigen Haupteingänge gebaut. Das Aktionsbündnis „Reclaim Tempelhof“ sammelt derweil die besten Zeltkonstruktionen für eine nächtliche Besetzung. Denn die Parkordnung der landeseigenen „Grün Berlin GmbH“ (siehe Kasten) sieht vor, dass sich die Tore bei Sonnenuntergang schließen, Partys und Rendezvous in lauen Sommernächten bleiben untersagt.

Für die beiden Mädchen aus der Nachbarschaft ist das kein Problem. Sie wollen nur ungestört Skateboard fahren. Am jetzigen Trainingsplatz seien immer die Jungs. Die 20-jährige Marielle Hennrich sieht das etwas differenzierter. Mit einer Freundin dreht die junge Frau am Zaun gerade ein Bewerbungsvideo für die Schauspielschule. Auch sie freut aufs Skaten auf der Landebahn. Das Zimmer, das sie bewohnt, liegt direkt am Tempelhofer Feld. Sie findet, es sollte die ganze Nacht offen bleiben, für alle – ruhig schlafen möchte sie aber trotzdem können. „Ich will nicht, dass das hier ein Tourismusding wird“.

Von der Anziehungskraft des neuen Parks erhofft sich Anwohner Attila Behrendt einen Gewinn für den Schillerkiez, der als soziales Problemgebiet gilt. „Dann hätten wir eine Chance, unseren schlechten Ruf zu verbessern.“ Dem Sicherheitsmanager fehlt ein „Raum, wo man sich in der Natur begegnen kann“. Das wäre wichtig für die Nachbarschaft. Viele im Schillerkiez wünschen sich einfach „was Schönes“. Auch Martina Voigt aus der Herrfurthstraße hätte es gerne „gepflegt“. Einen Rosengarten zum Beispiel. „Einen Freizeitpark mit Riesenrad“ wünscht sich Rentner Alwin Siems. „Oder so wat wie New York, schön Central Park“, schwärmt ein Monteur, „aber dazu muss die Einstellung der Leute passen“.

Die Aussicht, dass sich bald nach der Öffnung Müllberge und Reste von Grillfesten und Trinkgelagen auf der Wiese türmen könnten, beunruhigt viele Anwohner, wie eine Umfrage der Stadtentwicklungsverwaltung belegt. Der Volkspark Hasenheide, gleich auf der anderen Seite vom Columbiadamm, dient als Negativbeispiel. „Mit Kindern kann man da nicht hingehen“, meint Ingenieur André Kalms, der mit Tochter Emélie auf Rädern über das Kopfsteinpflaster rollt. Eine Lösung wären Eintrittsgelder wie im Britzer Garten, meint er. Mit „Sozialtickets für Anwohner“ gäbe es da kein Problem. „Eintritt für alle, nur nicht für uns“, fordert die elfjährige Amela aus der Karl-Weise-Grundschule. „Scherz! Keiner soll zahlen.“ Sie und ihre vier Freunde wollen „endlich einen neuen Spielplatz“. Ein Kollegschüler, zugezogen aus Friedrichshain, möchte das Feld „möglichst unberührt“ lassen und erinnert an die vielen ansässigen Tiere. „Das ist eine Brutstätte für das wenige Leben, das wir noch haben“, sagt er. Auch Marina Schäfer liegt das Feld als „grüne Lunge“ der Stadt am Herzen. Und für ihren Boxer-Dogge-Mischling freut sich die 36-Jährige auf die weiträumigen Auslaufgebiete für Hunde.

Malerin Anna aus der Lichtenrader Straße ist dagegen „tierisch wütend“. Wo sie sich auf dem Feld einen Skulpturenpark erträumt, seien drei Häuserreihen geplant. Die Randbebauung würde ihr den Blick auf den Sonnenuntergang verstellen. Sie befürchtet, dass die Gegend teuer werden könnte. „Kreuzkölln“, wo sie ihr Atelier hat, habe sich so schnell verändert. „Reiche Leute, die private Schwimmbäder wollen, haben Charlottenburg“, empört sie sich. „Hier ist Neukölln!“

„Das Publikum verändert sich“, beobachtet André Mentzel, Pächter des „Café Einklang“, das Panini mit Parmaschinken, Eis und frisch gepresste Säfte bietet. Immer öfter warteten hier Mietinteressenten auf Besichtigungstermine, sagt Mentzel. Der Umsatz des Sommers werde entscheiden, ob er die Pacht verlängern kann. Seinen Espresso verkauft er für 1,20 und im Winter für einen Euro. „Ich halte die Preise niedrig, damit neue kommen und alte Gäste bleiben können.“

Am südöstlichsten Eck fotografiert ein schlanker Mann mit Leichtmetallbrille das Grüne. Die Sonne senkt sich, Vögel zwitschern. Der 39-jährige Immobilienmakler ist für englische Investoren nach Berlin gekommen, um sich „einen Eindruck von der Umgebung“ zu verschaffen. In der Oderstraße stünden mehrere Häuser zum Verkauf. Es habe sich herumgesprochen, dass es um Tempelhof „jetzt kein Lärmproblem mehr gibt“, erzählt er. „Dass man hier jetzt was machen kann.“

Denka und Sabahattin Kiran genießen auf ihrem ebenerdigen Balkon den weiten Blick. Das Ehepaar wohnt seit acht Jahren am Flugfeld und weiß, wie schnell man bei einem Start die Fenster schließen musste, damit die Wohnung nicht nach Kerosin stank. Nun fürchten sie „Qualm und Gestank“ vom Grillen. Deswegen würden sie aber nicht ausziehen, jetzt, wo es so ruhig ist. Größere Probleme bereiten ihnen die Mieterhöhungen auf mittlerweile 467 Euro für 53 Quadratmeter. Die Kirans schauen aufs Feld. „Vielleicht ziehen wir nach Rudow“, sagen sie. Von „Bewegungsfreiheit“ sprechen sie nicht.

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