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Berlin: Tempodrom: Der Zeltmeister, der Special-Agent

"Ich bin der Paul", sagt der Mann auf dem tristen, halb abgebauten Tempodromgelände am Ostbahnhof. Hochgewachsen, mit blauen Augen und weißem Strubbelhaar sieht Paul aus wie ein Schwede - so, wie man sich den eben vorstellt.

"Ich bin der Paul", sagt der Mann auf dem tristen, halb abgebauten Tempodromgelände am Ostbahnhof. Hochgewachsen, mit blauen Augen und weißem Strubbelhaar sieht Paul aus wie ein Schwede - so, wie man sich den eben vorstellt. Bei Paul Busch liegt man sogar richtig. Der gebürtige Berliner gehört laut Pass seit seiner frühen Kindheit zu den Untertanen König Carl Gustavs.

Ansonsten ist der Mann, der da in abgeschabtem Jeans-Outfit auf einem alten Plastikstuhl sitzt, ein wenig eitel. Nicht, weil er jetzt ein Buch geschrieben hat - "Mein Leben - Ein Zirkus". Nein, viel mehr, weil man ihm seine 64 Jahre einfach nicht ansieht - was er natürlich weiß. Dass er im März 1937 in Wilmersdorf geboren ist, muss man ihm regelrecht entlocken. Alles andere aus seinem Leben aber nicht - endlos und spannend erzählt er von sich. Nur - wo anfangen, wenn man über Paul Busch schreibt?

Vielleicht damit, dass er als Sohn der Dressurreiterin Micaela Busch und Enkel der legendären Zirkusdirektorin Paula Busch sozusagen in der eigenen Manege auf die Welt gekommen ist? Oder damit, dass er schon als Kind mit der vor der Gestapo Hals über Kopf nach Schweden geflüchteten Mutter durch ein Gastspiel auf die Philippinen gelangte? Dass er dort im Kloster war und als 15-Jähriger in Manila die eingelagerten Reste des pleite gegangenen Circus Busch mit Gasflaschen - "Peng", sagt er beim Erzählen - in die Luft jagte, damit sie nicht Fremden in die Hände fielen? Oder dass er in den Siebzigern mit einem Sarg auf dem Auto vier Jahre lang durch Diskos tingelte, in denen er mit einer Horror-Show auftrat? Dass er als Magier mit einem Löwen unterwegs war? Mit seiner damaligen Partnerin und zweiten Frau Karin auf dem "Traumschiff" MS Berlin engagiert wurde? Als Fänger am Trapez arbeitete? Mit dem ostdeutschen Staatszirkus "AEROS" in der ehemaligen Tschechoslowakei gastierte? In Budapest gemeinsam mit anderen ein Zirkus-Ballettmädchen im Zug abenteuerlich in den Westen schmuggelte?

Vielleicht sollte man aber mit dem jüngsten Abschnitt im Leben des Paul Busch beginnen. Am 10. September ist diese Zeit beendet. Da will er Berlin in Richtung Heimat verlassen. Das ist ein Häuschen etwa 30 Kilometer von Trelleborg entfernt, das er sich vor zwölf Jahren kaufte. Bewohnt hat er es bis heute noch nicht sehr oft - 21 Jahre lang war ein Wohnwagen in Berlin sein Zuhause und zugleich das Büro des Zeltmeisters im Tempodrom. Den Wohnwagen will er bis zu seiner Abreise nach Schweden verkauft haben. Tabula rasa macht er wie die ganze Tempodrom-Familie. Die startet bekanntlich am Anhalter Bahnhof zu neuen Ufern - vorher wurde jetzt bis zur letzten Glühbirne das alte Inventar "verscherbelt". Davon kannte der Zeltmeister jede Schraube. Im Schlaf könnte er das "Heimatklänge"-Zelt aufbauen, das nun ausgedient hat.

Paul Busch hat nicht ausgedient, er geht einfach. Etwas ist zu Ende - für den Lebenskünstler mit dem unstillbaren Drang zur Freiheit nicht das erste Mal. Was hat er nicht alles schon gemacht? Auf den Philippinen war er als Special-Agent der US-Armee in Brot und Lohn, in Paris jobbte er in einer Bar. In Schweden war er Lastwagenfahrer, später auch mal im Porno-Geschäft und sogar als Wanderprediger unterwegs. Irgendwann dazwischen hat er in Schweden seine erste Frau Brita geheiratet, wurde Vater von zwei Töchtern und ist heute Großvater von zwei Enkeln. Die erste und später auch die zweite Ehefrau kamen ihm abhanden, er lernte neue Frauen kennen und lieben - und verlor auch diese wieder.

Augenblicklich lebe er allein, sagt er beim Gespräch im zugigen Vorzelt des Tempodrom, das halb abgebaut und ohne abendlichen Lichterglanz und Publikum schäbig-traurig aussieht, wie tagsüber alle Zirkuszelte dieser Welt. "Allein", sagt er, und dabei klingelt ständig sein Handy, an dem er sich nur mit "Paul" meldet. Dass er in Schweden anfängt, Blumen und Kartoffeln anzupflanzen, ist da eher unwahrscheinlich. Eine Pause wird er sich gönnen, ganz sicher. Und dem 6-jährigen Henri und dem 4-jährigen Viktor den Opa spielen. Aber irgendwann wird das Telefon klingeln und jemand mit einer tollen Idee anrufen. Und dann wird Paul Busch sein Häuschen verschließen und sich wieder auf die Socken machen.

Wie vor 21 Jahren, als Holger Klotzbach bei ihm anrief. Der war damals noch nicht Chef der Bar jeder Vernunft, sondern Lehrer in der Zirkusschule Busch-Roland. In Berlin habe eine Krankenschwester ein Zelt gekauft und mache Zirkus, erzählte er am Telefon: "Du musst Irene kennenlernen." Das machte Paul Busch auch und blieb 21 Jahre im Tempodrom, an der Seite der Chefin Irene Moessinger. Dort nimmt jetzt keiner Abschied für immer von ihm. Wenn eine Party steigt, will Paul Busch wieder dabei sein.

Heidemarie Mazuhn

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