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Auch Soldaten könnten künftig bei der Versorgung von Anschlagsopfern miteinbezogen werden.

© dpa

Terrroranschläge in Berlin: Trainieren für Tag X

Der Fall Albakr hat gerade gezeigt, wie akut die Gefahr eines Terroranschlags in Deutschland ist. Berlin steht besonders im Fokus. Um bestmöglich reagieren zu können, arbeiten zivile Unfallmediziner seit einiger Zeit mit der Bundeswehr zusammen.

„Wir wollen vorbereitet sein auf eine Situation, die hoffentlich nie eintritt“, sagt Bertil Bouillon. Mit diesem „Wir“ meint der Direktor der Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie am Klinikum Köln an erster Stelle seine Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Mit „Situation“ meint er Terroranschläge wie den von November letzten Jahres in Paris oder vom 11. September 2001 in New York. Der Fall Albakr zeigt gerade, wie stark auch Deutschland im Fokus möglicher Terroristen steht. Wie aus unfallchirurgischer Sicht auf solche Ereignisse reagiert werden muss, hat die DGU kürzlich in Berlin erläutert.

Was Terroranschläge von ebenfalls schrecklichen Zugunglücken oder Massenkarambolagen unterscheidet, ist zunächst die Dimension des völlig Unkalkulierbaren: Keiner weiß, ob nach der ersten Bombe noch eine zweite hochgehen wird – möglicherweise am Ort des Geschehens selbst, wo gerade Helfer im Einsatz sind. Zur Vorbereitung gehören deshalb auch Gedanken darüber, wie die Helfer ihrerseits geschützt werden können, wenn sie bei einer Rettung verletzter Opfer unter Beschuss geraten.

Anders als bei Unfällen ist aber auch die Art der Verletzungen, die die Mediziner sehen: Hervorgerufen durch Waffen, die sonst nur in kriegerischen Auseinandersetzungen zum Einsatz kommen, durch Maschinengewehre, Bomben, aber auch Stichwaffen. Während Unfälle eher Quetschungen und Knochenbrüche nach sich ziehen, kommt es durch Schusswaffen und Sprengstoff oft zum Verlust von Gliedmaßen und zu schweren Blutungen, die schnell gestoppt werden müssen.

Erfahrung sammeln in Afghanistan

„Als Bundeswehr sind wir gewohnt, mit diesen besonderen logistischen und medizinischen Problemen umzugehen“, sagt Oberstarzt Benedikt Friemert, Unfallchirurg am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Im Rahmen der Auslandseinsätze der letzten Jahrzehnte, auf dem Balkan, in Afghanistan oder Mali, habe sich die deutsche Armee notgedrungen eine besondere Expertise bei der Versorgung von Patienten mit Schuss- und Explosionsverletzungen erworben, so Generaloberstabsarzt Michael Tempel. In der zivilen Medizin wurde solches Wissen in den letzten Jahrzehnten in Deutschland glücklicherweise nicht gebraucht. Man habe bei den Einsätzen aber auch gelernt, mit reduzierten Mitteln zu arbeiten, berichtet Tempel. Und dabei dennoch die Maxime zu beherzigen, „dass ein Soldat nach einem Sprengstoffanschlag in Afghanistan genauso gut behandelt werden muss wie ein Verletzter nach einem Grill-Unfall in Berlin-Mitte“.

Um sich auf eine Lage vorzubereiten, die jeder lieber verdrängt, als sie sich konkret auszumalen, der man aber im Ernstfall besser gewachsen ist, wenn man sich wappnet, arbeiten die Unfallchirurgen seit einiger Zeit nun fachlich mit dem Sanitätsdienst der Bundeswehr zusammen. Das geschieht ganz unabhängig von der strittigen politischen Frage, ob das Militär in einem solchen Fall zur Unterstützung der Polizei in die Gefahrenabwehr einbezogen werden sollte.

Wichtig ist auf jeden Fall die Erstversorgung von Verletzten und dafür auch die Koordination etwa bei der Verteilung der Hilfebdürftigen. Weltweit einzigartig ist nach Auskunft der DGU dafür die Initiative TraumaNetzwerk, zu der in Deutschland 600 Kliniken gehören, organisiert in 52 zertifizierten Trauma-Netzwerken.

14 Kliniken in Berlin und Brandenburg sind beteiligt

Aus der Hauptstadt-Region, die bei Anschlägen eine exponierte Rolle spielen könnte, sind 14 Berliner und Brandenburger Kliniken am Netzwerk beteiligt, außerdem sind hier fünf überregionale Traumazentren angesiedelt – an zwei Standorten der Charité, im Unfallkrankenhaus Berlin, in Buch und im Vivantes-Klinikum Friedrichshain. „Wir sind dankbar für das Know-how der Fachgesellschaft“, sagt Gerrit Matthes vom Unfallkrankenhaus Berlin.

In jeder dieser Kliniken werden im Ernstfall Schwerverletzte nach dem gleichen, standardisierten Plan behandelt. Leitlinien, etwa für die ersten Maßnahmen zur Behandlung Schwerverletzter in den Schockräumen, wurden mit den beteiligten Fachgesellschaften abgestimmt. „Dadurch konnten wir die Sterblichkeit von Schwerverletzten in den letzten 20 Jahren halbieren“, berichtet Bouillon.

Als Instrument für die Kontrolle der Qualität dient den Unfallchirurgen schon seit einigen Jahren ihr Traumaregister, eine der weltweit größten Datensammlungen zur Behandlung von Schwerverletzten. Ein Register für Schuss- und Explosionsverletzungen, das bisher von Sanitätsoffizieren geführt wurde, soll dieser Dokumentation nun hinzugefügt werden. Was die besondere Herausforderung von Terroranschlägen betrifft, so soll eine wissenschaftliche Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie (DGWMP) für noch mehr Expertise sorgen. Zum Fünf-Punkte-Plan, den DGU und Bundeswehr gemeinsam ausgearbeitet haben, gehören auch Weiterbildungen für Mediziner. In ihnen geht es nicht allein darum, wie Schuss- und Explosionsverletzungen optimal behandelt werden. Die taktische Vorgehensweise im Ernstfall, die Kommunikation mit der Polizei und die Frage, welche Materialien sich im Vorrat der Kliniken befinden müssen, werden ebenfalls behandelt. Etwa Materialien zur Ersten Hilfe bei lebensgefährlichen Blutungen. „Sie spielen bei Verletzungsmustern nach Terroranschlägen eine besondere Rolle“, sagt Oberstarzt Friemert.

Deshalb gibt es auch Überlegungen, Laien in diese lebensrettende Maßnahme einzubeziehen. Ganz wichtig sind zudem Notfallübungen in den Kliniken, so kostspielig sie für die Krankenhäuser auch sein mögen. Und so sehr man hoffen mag, sie könnten völlig überflüssig sein. „Zufällig hatte am Tag des Anschlags in Paris im letzten November eine solche Übung stattgefunden, die Kollegen waren dadurch optimal vorbereitet“, berichtet Bouillon.

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