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Großes Strahlen. Man sieht Luka an, wie glücklich er ist, wenn er Clea streicheln darf. Allerdings sind solche Glücksmomente nach 45 Minuten beendet.

© Kitty Kleist-Heinrich

Hunde für Behinderte: Therapiehelfer auf vier Pfoten

Der vierjährige Luka ist schwerstbehindert. Seit er in einer Logopädie-Praxis Therapiehunde streichelt, hat sich die Welt für ihn verändert. Größter Wunsch seiner Mutter ist ein eigener Hund für ihren Sohn.

Vorsichtig, fast tastend, greifen die Hände zum Fell. Dann fahren die Finger langsam die Haare entlang, Bewegungen in Zeitlupe, aber voller Intensität. Die Finger greifen nach links, umklammern Futter, es landet an der Schnauze des Hundes, dann ist das Futter verschwunden und der Hund leckt über die Finger, Bilder voller Wärme. Und der Junge, dessen Finger jetzt feucht sind von der Hundezunge und der sich an das Fell schmiegt wie an eine Kuscheldecke, der lacht dieses typische Kinderlachen.

Der Junge lacht auch auf einem Video, und vor dem Bildschirm sitzt Janina Wegner und lächelt. Aber man muss in ihre Augen blicken, erst dann erahnt man die Intensität dieser Bilder. Diese Augen haben einen feuchten Schimmer. Ihr Sohn hat die Mauer durchbrochen, die ihn umgibt, er hat sich einen Schritt in die reale Welt bewegt. Irgendwann, das ist auf dem Video aber nicht mehr zu sehen, sagte er sogar „komm“ und „nimm“.

Zwei Worte, die einen enormen Fortschritt symbolisieren. Luka ist vier Jahre alt, er ist schwerstbehindert, fast taub, fast blind, unfähig zu gehen, unfähig zu krabbeln, unfähig zu sitzen, als Zweijähriger schon an beiden Ohren operiert. Zu Hause sagte er lange Zeit nur „Mama“, „Auto“ und manchmal noch „Oma“.

Gespräche mit den vierbeinigen Freunden

Seit er die Therapiebegleithunde der Logopädin Carola Schneider-Tobis gestreichelt hat, kommt ein neues Wort hinzu, in den Ohren von Janina Wagner klingt es wie fröhliches Jauchzen: „Wau-wau“. Zwei Hunde hat die Logopädin aus Zehlendorf, den Labrador Clea und dann noch Anouk, eine Mischung aus Labrador und Großpudel. „Sie sind Motivatoren“, sagt die Logopädin. Luka lernt, dass sie reagieren, wenn er etwas sagt, wenn sie „komm“ hören. Der Rest seiner Sprache besteht aus Tönen, aber er kommuniziert, das zählt.

Janina Wegner hat viele Fotos von Luka in ihrer Wohnung in Charlottenburg, fröhliche Bilder mit dem strahlenden Jungen, sie sind seelische Stützen, an die sich eine alleinerziehende Mutter klammert, die ihren Sohn fast rund um die Uhr intensiv betreuen muss.

Verbündete im wertvollen Kampf

Die Hunde helfen nicht nur dem Vierjährigen, sie entlasten auch kurzzeitig eine junge Frau, die phasenweise an der Grenze der Überlastung entlangschrammt. Rehahunde sind genügsam, man kann sie an den Ohren ziehen oder an die Beine fassen, man kann sie ungeschickt streicheln, sie bleiben gelassen. Sie können sogar Socken ausziehen und Schubladen öffnen.

Vor allem gehen sie auf vier Beinen, auch das sieht Luka. Also hofft Janina Wegner, „dass er mal hinterherkrabbelt“. Noch bleibt er liegen, aber zumindest hat er keine Angst mehr. Als Luka die Hunde zum ersten Mal sah, rollte er sich zusammen wie ein Igel.

Die Frau, die auch dafür sorgt, dass Hunde zu Helfern werden, hat kurze, dunkle Haare und sitzt in einem Konferenzraum in Kreuzberg. Sabine Häcker leitet den Verein „Hunde für Handicaps“. Die Tierärztin trainiert, mit anderen Vereinsmitgliedern, ehrenamtlich Hunde für diverse Lebensbereiche. Für Gehörlose, für Menschen mit körperlichen und psychischen Behinderungen, für Patienten mit chronischen Erkrankungen. Die Hunde bedienen einen Lichtschalter, sie heben Sachen auf, sie ziehen Strümpfe an, sie erkennen Ampeln und Bordsteinkanten, sie helfen beim Einstieg in öffentliche Verkehrsmittel, sie geleiten Blinde durch den Alltag. Tiere, die Menschen wie Luka helfen, nennt Sabine Häcker „Betreuungs-Assistenzhunde“.

Auch Dackel sind geeignet

Große Freude. Luka, Mutter Janina Wegner (l.), Logopädin Carola Schneider-Tobis.
Große Freude. Luka, Mutter Janina Wegner (l.), Logopädin Carola Schneider-Tobis.

© Kitty Kleist-Heinrich

Seit 1991 gibt es den Verein, seither wurden mehr als 30 Hunde ausgebildet, drei davon hat Sabine Häcker geschult. „15 Hunde sind derzeit im Einsatz.“ Die Rasse ist dabei zweitrangig. „Selbst ein Dackel ist grundsätzlich geeignet.“ Den Kernpunkt fasst Sabine Häcker in einem Satz zusammen: „Der Hund soll eine Hilfe sein, keine zweite Behinderung.“ Er darf nicht aggressiv sein, er darf kein Jagdverhalten zeigen, er darf nicht an der Leine ziehen. Nur mal so als Beispiele.

Schon bald nach der Geburt wird ein Tier getestet. Geht es an der Leine? Ist es leicht zu stressen? Ein Hundepate trainiert täglich mit dem Tier, unterstützt von einem Trainer. Nach einem Jahr beginnt die Feinarbeit. Entweder täglich mit einem Trainer oder gleich bei der Zielperson, unterstützt durch den Coach. Version zwei macht Sinn, sagt Sabine Häcker. „Ich bin bestimmt kein schlechter Trainer, aber ich verhalte mich nie so wie ein Contergan-geschädigter Mensch.“ Der Hund lernt dadurch realitätsnäher.

Tiere müssen mehrstündige Abschlussprüfung bestehen

Und natürlich in Schritten. Das Bedienen des Lichtschalters zum Beispiel. Erst lernt der Hund einen Lichtschalter überhaupt kennen, dann lernt er, dass und wie er gekippt wird, dann lernt er, ihn auf den Hinterbeinen zu bedienen. Und erst nach einer mehrstündigen Abschlussprüfung wird ein Tier freigegeben. Die Ausbildung kann bis zu 15 Monate dauern. Ein Hund hilft zum Beispiel einem Einarmigen beim Binden der Schuhe, indem er die Schnürsenkel hält oder zieht.

So einen Hund hätte Janina Wegner auch gerne, einen dauerhaften Bezugspunkt für Luka. Clea und Anouk sieht er nur in der Therapie, 45 Minuten lang. „Und er ist ganz traurig, wenn wir gehen müssen.“ Ein Hund dauernd an Lukas Seite würde ihr helfen, es würde Luka helfen. Sie hätte Entlastung, wenn Luka mit dem Hund spielte. Der Hund könnte ihm helfen, sich anzuziehen, er würde Luka motivieren zu reden. Aber so ein Hund kostet 25 000 Euro, zu viel für eine alleinerziehende junge Mutter. Die Krankenkasse bezahlt ihr keinen Hund, also hofft die Mutter, dass sie Spender findet.

Ein Traum und eine Bitte

Seit sie Clea und Anouk kennt, hat Janina Wegner ein Bild vor Augen. Es erscheint ihr wieder, als sie versonnen in ihrer Wohnung sitzt. Dann hebt sie den Kopf, und ihr Blick wird so weich wie ihre Stimme. „Wenn Luka sich an einem der Hunde festhalten und aufrichten würde“, sagt sie, „das wäre mein Traum.“

Wer für einen Hund für Luka spenden möchte: Verwendungszweck: Luka, „Rehahunde Deutschland e. V.“, VR Bank Rostock, Kto. 2534118, BLZ 130 900 00

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