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Tiertafel

© Uwe Steinert

Tiertafel: Ein Herz für arme Hunde

Armut isoliert. Für manche Berliner ist deshalb ihr Haustier der letzte Sozialpartner. Damit sie ihn sich leisten können, unterstützt seit einem Monat die Berliner Tiertafel die Hunde- und Katzenbesitzer mit Gratisfutter und Beratung – die Resonanz ist groß.

Franko Reichert trägt Irokesenschnitt und Lederjacke. Er ist 50 Jahre, "der älteste Punk im Kiez“. Seine Dalmatinerhündin Chica hat eine Plastikblumenkette um den Hals und einen roten Streifen auf der Stirn. "Wie der Herr, so’s Gescherr!“, lacht der Kreuzberger. Chica hat er einem Bekannten abgekauft, für acht Euro. "Der konnte sie sich nicht mehr leisten.“

Während Reichert spricht, schnuppert die Hündin neugierig an Claudia Hollms Beinen. "Hallo, du Schöne!“, ruft Hollm und beugt sich runter, tätschelt das gefleckte Tier und reicht ihm einen Hundedrops. Die 44-jährige Vorsitzende der "Tiertafel Deutschland“ hat kürzlich in Treptow die erste Berliner Ausgabestelle des Vereins eröffnet. Zwölf ehrenamtliche Mitarbeiter versorgen hier jeden Sonnabend nicht nur Hunde, sondern auch Katzen, Kaninchen und Wellensittiche gratis mit Futter und Zubehör. Außerdem können die Halter, die den Bezug von Hartz IV oder Rente nachweisen müssen, sich Rat und Hilfe in Sachen Haltung, Pflege und medizinischer Versorgung ihrer Lieblinge holen. "Ein Rundumkonzept“, sagt Hollm stolz. Mit der "Berliner Tafel“ hat der Verein aber nichts zu tun, man streitet über die Namensrechte.

Franko Reichert ist der Name egal, er findet das Projekt super. Er ist "aus Geldnot“ hier, seit fünf Jahren lebt er von Hartz IV. "Guck mal“, sagt er und zieht drei Kraftfutterwürste, einen Beutel Trockenfutter und einen Zahnputzknochen aus seinem Rucksack. "Das reicht fast eine Woche!“ Das Futter werde absichtlich nur für vier bis fünf Tage ausgegeben, sagt Hollm. Die "Kunden“ sollen sich nicht auf die Hilfe verlassen, sondern aktiv bleiben. Keinesfalls sollten sie sich als "Bedürftige“ fühlen. "Das sind einfach Menschen, denen es gerade mal nicht gut geht,“ sagt Hollm. Es könne jeden treffen. "Vor unserer Filiale in Hamburg stehen ehemalige Professoren und Bankdirektoren in der Schlange.“ 700 Kunden kämen dort pro Nachmittag.

Auch die Berliner Ausgabestelle wird gut angenommen. Am ersten Sonnabend haben 76 Kunden sich und ihre Tiere angemeldet, eine Woche später waren es 126, beim dritten Termin weit über 200. "In drei Monaten werden es 1000 sein“, prognostiziert Hollm. Dass der Andrang so groß ist, wundert Evamarie König nicht. Die Sprecherin des Berliner Tierheims schätzt, dass ein Drittel der Tiere "aus finanziellen Gründen“ ins Heim gegeben würden. Tendenz steigend. Diesem Trend arbeitet Hollms Verein entgegen. Er scheint einen Nerv zu treffen. Im Jahr 2006 im brandenburgischen Rathenow gegründet, hat die Tiertafel inzwischen über 600 Mitglieder und betreibt bundesweit 18 Ausgabestellen, im November eröffnen weitere zwei.

Das Futter kommt von den Herstellern, bisweilen spenden auch Supermärkte – und Privatleute. Die Vorsitzende, die ihr Geld als Programmiererin verdient, hat ein klares Ziel: Die Menschen sollen ihre Tiere behalten können. Für Kinder in sozial schwachen Familien seien Tiere eine wichtige Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen. Außerdem wirke Armut isolierend. "Für viele ist das Tier der letzte Sozialpartner. Wenn man denen den Hund wegnimmt, sitzen die ein Jahr lang auf dem Sofa und gucken fern – dann sind sie tot.“

Für Elfi Lindemann ist ihre Shin-Tzu-Hündin Charlotte tatsächlich so etwas wie die Verbindung zur Welt. Die Neuköllnerin kommt schon zum dritten Mal, um Futter zu holen. "Da schäme ich mich nicht für“, sagt die 57-Jährige. Die Stütze reiche hinten und vorne nicht. Sie lebe allein, beim Gassigehen mit Charlotte träfe sie aber "viele Hundefreunde“. So habe sie immer jemanden, um ein Schwätzchen zu halten.

Die Ausgabestelle in der Mörikestraße 15 in Treptow ist jeden Sonnabend von 11 bis 16 Uhr geöffnet. Zur Anmeldung wird ein Hartz-IV- oder Rentenbescheid sowie ein Nachweis für den Besitz eines Haustiers benötigt, etwa ein Impfausweis.

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